Energiewende in NRW Der langsame Abschied vom braunen Gold

Jackerath · NRW sieht sich gern als Vorreiter beim Klimaschutz. Doch noch sieht die Realität anders aus – auch wegen der Braunkohle. Während die einen bei einem Ausstieg Jobverluste befürchten, sehen andere wirtschaftliche Chancen.

Grand Canyon in den USA, Top of Tirol am Stubaier Gletscher oder AlpspiX bei Garmisch. Wer sich dort auf den Skywalk traut, weiß, was ihn erwartet: ein spektakulärer Blick über eine grandiose Landschaft und nach unten in einen mehrere Hundert Meter tiefen Abgrund, der bei zartbesaiteten Gemütern Schwindel auslöst.

Auch der kleine Ort Jackerath im rheinischen Revier hat seinen Skywalk, doch dort ist der Ausblick ein ganz anderer: Vor dem Besucher liegt wie eine schwärende Wunde der Tagebau Garzweiler, der sich mit seinen Riesenbaggern in die Bördelandschaft gefressen hat. Bis zu 200 Meter tief reichen stellenweise die Terrassen, deren unterschiedliche Farbbänder den Verlauf der Erdschichten offenbaren. Fast 100 Meter hoch ist allein der Schaufelradbagger 288; jeden Tag kann er 240.000 Tonnen Kohle oder Abraum wegbaggern.

Rauchende Schlote, Fördertürme, Schaufelradbagger – einst waren dies die Symbole für Wohlstand und Wachstum in Nordrhein-Westfalen. Doch diese Zeiten sind längst Vergangenheit. Und auch für das braune Gold im Städtedreieck Köln, Aachen, Mönchengladbach geht es nicht mehr um die Frage „Wie viel“, sondern nur noch um „Wie lange noch“.

Die neuen Grenzen steckt der Klimawandel. Braunkohle gilt als schmutzigster Energieträger überhaupt, weil bei der Verstromung in den Kraftwerken besonders viel Kohlendioxid ausgestoßen wird. Das Problem für NRW: Das bevölkerungsreichste Bundesland hat von beidem im Überfluss. Drei Viertel der gesamten deutschen Braunkohle werden im rheinischen Revier gefördert, laut Angaben des Energieerzeugers RWE Power sind das pro Jahr bis zu 100 Millionen Tonnen Braunkohle. Ein Drittel der gesamten Stromerzeugung in Deutschland kommt aus NRW, fast die Hälfte davon aus den Braunkohlekraftwerken im Revier.

Ambitionierte Pläne

Drei Viertel der NRW-Stromerzeugung stammen aus Braun- und Steinkohlekraftwerken. Dirk Jansen, NRW-Geschäftsleiter der Umweltschutzorganisation BUND, bringt das auf die Palme: „Nordrhein-Westfalen ist der Klimaschädling Nummer eins in Deutschland“, klagt er, wegen des hohen Anteils der Kohleverstromung sei NRW für ein Drittel des gesamten CO2-Ausstoßes Deutschlands verantwortlich.

Für die Kohlekritiker ist klar: Bleibt es bei der Kohleverstromung, sind die Klimaschutzziele nicht nur des Landes, sondern deutschlandweit Makulatur. Der Energiekonzern RWE, aber auch weite Teile der NRW-Wirtschaft, sehen das völlig anders. RWE beschwört vor allem die „langfristige Bedeutung der heimischen Braunkohle für eine sichere und bezahlbare Energieversorgung“ und für die Arbeitsplätze in der Region.

Die Jobs von mehr als 20.000 Menschen im rheinischen Revier hängen laut RWE direkt oder indirekt von der Braunkohle ab. Auch die Industrie- und Handelskammern im Land sehen die Energiewende mit abgrundtiefem Misstrauen: Durch Klimaschutzgesetz und -plan des Landes würden „letztlich alle Politikbereiche dem Primat des Klimaschutzes untergeordnet“, heißt es in einer Stellungnahme vom Februar 2015, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze würden gefährdet.

Tatsächlich sind die Pläne des Landes für Klimaschutz und Energiewende durchaus ambitioniert, zumindest auf dem Papier: „Durch die geplanten Maßnahmen für steigende Energieeffizienz und Energieeinsparung und für den Ausbau der erneuerbaren Energien sollen die Treibhausgasemissionen in NRW bis zum Jahr 2020 um mindestens 25 Prozent und bis zum Jahre 2050 um mindestens 80 Prozent reduziert werden“, schreibt das Landesumweltministerium zum NRW-Klimaschutzgesetz von 2013.

Und der Klimaschutzplan vom Dezember 2015 schlägt 154 Maßnahmen für den Klimaschutz und weitere 66 zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels vor. Während Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) von einem „Einladungsprozess“ für die 18 Millionen NRW-Einwohner sprach, kritisierten Medien den Plan als Papiertiger ohne Zähne.

Hin- und hergerissen zwischen dem traditionellen sozialdemokratischen Schwerpunkt der Arbeitsplatzsicherung und den ökologischen Interessen der Grünen scheint NRW bei der Energiewende ohne Kompass zu steuern. So werden in der sogenannten Leitentscheidung Braunkohle vom Juli dieses Jahres zwar das Abbaugebiet von Garzweiler II verkleinert und die Fördermenge von ursprünglich 1,2 Milliarden Tonnen Kohle um 400 Millionen Tonnen reduziert. Von einer zeitlichen Beschränkung des Braunkohleabbaus ist aber nicht die Rede, auch wenn Grünen-Fraktionschef Mehrdad Mostofizadeh schon vollmundig vom „Einstieg in den Ausstieg aus der Braunkohle“ sprach.

Erheblicher Nachholbedarf

Stattdessen feiert die rot-grüne Landesregierung lieber Erfolge auf anderen Gebieten. Jede siebte neue deutsche Windenergieanlage werde inzwischen in NRW aufgestellt, meldete Klimaschutzminister Remmel Ende September: „Wir gehören beim Ausbau der Windenergie zu den Spitzenreitern in Deutschland“. Allerdings gibt es im Land auch erheblichen Nachholbedarf: Nur rund zehn Prozent der Stromerzeugung stammen bisher aus erneuerbaren Energien.

Inzwischen wächst der Druck auf die Kohlefreunde. Die Berliner Denkfabrik Agora Energiewende hat 2015 den Plan für einen geordneten Kohleausstieg bis 2040 vorgelegt. Eine Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin hält den Ausstieg bis 2030 für nötig und machbar. Selbst die Gewerkschaft Verdi ist auf Ausstiegskurs eingeschwenkt und hat im September ein Gutachten über die sozialverträgliche Ausgestaltung eines Kohlekonsenses vorgelegt. Die Grünen visieren mit dem im August vorgelegten „Fahrplan Kohleausstieg“ den Abschied von der Kohleverstromung für das Jahr 2037 an.

Einfach wird der Abschied vom braunen Gold nicht. NRW stehe vor einer neuen Gründerzeit, die mit früheren Epochenbrüchen der Energieversorgung und Industrieproduktion vergleichbar sei, heißt es auf der Webseite des Landesumweltministeriums. Doch es gibt wohl keine Alternative. Remmel: „Es wird uns teuer zu stehen kommen, wenn wir jetzt nicht handeln.“

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