Landesbauordnung soll Abhilfe schaffen Barrierefreie Wohnungen sind in NRW knapp

Hürth · Für Menschen mit körperlichen Behinderungen ist der Wohnraum in NRW knapp. Die Landesbauordnung soll Abhilfe schaffen. Zu Besuch im Vorzeige-Wohnquartier in Hürth.

 In NRW gibt es zu wenige barrierefreie Wohnungen.

In NRW gibt es zu wenige barrierefreie Wohnungen.

Foto: dpa

Es ist nur eine kleine Schwelle auf dem Weg zum Balkon, nicht höher als fünf Zentimeter. So unauffällig ist sie, dass NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) sie gar nicht wahrnimmt – wie auch sonst keiner ihrer Begleiter. Der Rollstuhl aber parkt davor. „Für einen Rollstuhlfahrer ist das bereits ein Hindernis. Er muss Anlauf nehmen, um es zu überwinden“, erläutert Ernst Uhing, Präsident der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen.

Die Bauministerin ist heute nach Hürth gekommen, um sich ein Wohnquartier anzuschauen, das als vorbildlich gilt. Hier, im „Kirschblüten-Carré“, wohnen seit acht Jahren Behinderte und Nicht-Behinderte auf engstem Raum beieinander, aber auch Alte und Junge, Kranke und Gesunde – sowie sozial Benachteiligte mit gut Situierten.

Der Besuch der Bauministerin birgt einige Brisanz. Die Wohnungsnot ist eines der größten Probleme im Land. In NRW eine bezahlbare Wohnung zu finden, ist nach Ansicht von Experten so schwer wie zuletzt Mitte der 1990er Jahre. Laut aktuellem Wohnungsbarometer der NRW Bank trifft die Wohnungsknappheit zunehmend auch die Mittelschicht in Ballungszentren. „Die Nachfrage steigt, der Neubau findet jedoch eher im hochpreisigen Segment statt“, heißt es in der Studie der NRW Bank. Die befragten Experten sehen für die kommenden Jahre keine deutliche Entspannung. Immer mehr Menschen zögen nach NRW und wollten in Groß- und Universitätsstädten leben. Insbesondere in den Ballungszentren fehle bezahlbarer Wohnraum.

Zu wenig Neubauten in den letzten Jahren

Zeitgleich schrumpft das Angebot an geförderten Mietwohnungen, da zuletzt viele ältere Bestände im sozialen Wohnungsbau aus der Preisbindung gefallen sind. Zudem sei in den vergangenen Jahren zu wenig neu gebaut worden. So gaben neun von zehn befragten Experten an, dass in ihrer Region derzeit nicht ausreichend Wohnungen mit Mitteln der Wohnraumförderung gebaut würden. Zwar seien die Investitionsbedingungen weiterhin gut, doch unter anderem die hohen Baulandpreise und zu wenig verfügbares Bauland erwiesen sich als Hemmnisse. Von dieser schwierigen Marktlage seien auch barrierefreie sowie kleine Wohnungen stark betroffen, resümiert die Bank.

Nach Scharrenbachs Willen sollen von 2019 an zwar alle neuen Wohnungen barrierefrei und damit behindertengerecht sein. Die Rollstuhl-Quote aber, auch R-Quote genannt, wird dann abgeschafft. Sie schrieb vor, dass beim Bau von mehr als 15 Wohnungen mindestens zwei Wohnungen rollstuhlgerecht zu bauen sind. Scharrenbach will auf die R-Quote verzichten, weil diese zu einer „erheblichen Verteuerung des Geschosswohnungsbaus mit der Folge steigender Mieten“ geführt hätte. Von der Abschaffung betroffen sind vor allem jene Behinderten, die auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen sind, weil dieser besonders großzügige Wohnungsabmessungen benötigt. Noch vor der Sommerpause soll die neue Landesbauordnung verabschiedet werden, am Freitag werden im Landtag Stellungnahmen von Experten ausgewertet.

Kritik von den Sozialverbänden

Mit ihrem Ministerium erarbeitet Scharrenbach, die auch Heimatministerin ist, einen Sieben-Punkte-Plan. Ein Punkt: Mit Städten wie Köln, Bonn und Münster sollen Zielvereinbarungen getroffen werden, in denen eine Mindestanzahl von Wohnungen für Menschen im Rollstuhl festgeschrieben wird. Auch soll die Quartiersentwicklung neu ausgerichtet werden. „Heimat-Gestalter“ sollen dazu ihre Ideen fürs Leben im Quartier einbringen.

Sozialverbände üben Kritik: „Viele Regelungen bleiben inhaltlich nicht nur hinter den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)1 und den 2016 beschlossenen Änderungen zurück, sondern liegen zum Teil sogar unter dem Standard der Landesbauordnung aus dem Jahr 2000“, heißt es beim Sozialverband VdK in NRW. Gisbert Schwarzhoff, Geschäftsführer der Wohnungs- und Siedlungs-GmbH, der auch das Quartier in Hürth plante, hat hingegen andere Erfahrungen gemacht. „Wir haben mehrere Auftraggeber, die ihre R-Wohnungen nicht vermietet bekommen“, sagt er. Viele Rollstuhlfahrer zögen es vor, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben – allerdings auch wegen der meist höheren Mieten in den neuen Wohnungen.

Sollte die neue Landesbauordnung die Kosten treiben, wären gemischte Quartiere wie in Hürth aus Sicht der Investoren künftig womöglich nicht mehr wirtschaftlich, weil sie auf einer ausgewogenen Mieterstruktur basieren.

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