Politik in NRW AfD-Machtkampf schwelt weiter

Euskirchen · Nach Chaos-Tagen entscheiden sich die Rechtspopulisten bei ihrer Delegiertenversammlung, rechtliche Zweifel an ihrer Landesliste zu ignorieren.

 Will den Eindruck vermitteln, dass alle Probleme ausgeräumt sind: Marcus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender in NRW. Der Landeswahleiter kommt jedoch zu einer anderen Einschätzung.

Will den Eindruck vermitteln, dass alle Probleme ausgeräumt sind: Marcus Pretzell, AfD-Landesvorsitzender in NRW. Der Landeswahleiter kommt jedoch zu einer anderen Einschätzung.

Foto: Bernd Thissen

Eigentlich will Marcus Pretzell gar nichts sagen. Nicht am Rednerpult der nunmehr vierten Delegiertenversammlung der AfD zur Aufstellung einer Landtagswahlliste im Cityforum Euskirchen. Erst recht nicht gegenüber der „Unterdrückungspresse“, wie Versammlungsleiter Kay Gottschalk die Berichterstatter begrüßt. Die Parteitagsregie scheint vielmehr einen Schleier des Schweigens über die jüngsten Chaos-Tage im größten AfD-Landesverband legen zu wollen.

Doch nicht alle Delegierten halten sich dran. Die Versammlung läuft kaum eine Stunde, da kommt die Rede auf den ominösen Whats-app-Chat. Landesparteichef Pretzell eilt durch den Saal, gestikuliert wild mit den Armen und versucht rufend klar zu stellen, dass über dieses Thema nicht mehr geredet werden soll.

Zuletzt war durch ein veröffentlichtes Protokoll bekannt geworden, dass sich mehrere AfD-Leute bei den vorangegangenen Delegiertentreffen per Mobiltelefon herablassend über Parteikollegen geäußert und möglicherweise verdeckt „ihren“ Delegierten bei Abstimmungen Vorteile verschafft hatten. Als Drahtzieherin wird eine Vertraute des Parteichefs und Europaabgeordneten Pretzell vermutet. Ein Listenplatz-Bewerber nennt sie am Samstag höhnisch: „Madame G. aus Brüssel, unsere Geschäftsführerin für besondere Aufgaben“. Obendrein hatte ein Mitglied der Zählkommission per eidesstattlicher Versicherung offenbart, dass bei einer Listenplatzwahl fünf Stimmzettel vernichtet worden waren. Seither erscheint fraglich, ob die gesamte Landesliste überhaupt gültig ist und die AfD zur Teilnahme an der Landtagswahl 2017 zugelassen wird.

„Die Liste ist juristisch nicht angreifbar“, sagt Stefan Keuter. Er ist Vorsitzender der AfD Essen und Vertrauensperson für das korrekte Zustandekommen der Liste. Die Lästereien im Chat seien zwar „erschreckend“, aber für die ordnungsgemäße Kandidatenaufstellung nicht relevant. Und bei den vernichteten Stimmzetteln habe es sich um Voten gehandelt, die der Zählkommission erst nach Feststellung des amtlichen Ergebnisses „noch in die Hand gedrückt wurden“, so Keuter. Also alles bestens?

Pretzell hatte bereits nach einem Krisentreffen beim Landeswahlleiter den Eindruck zu vermitteln versucht, alle Probleme seien ausgeräumt und die AfD-Liste stehe „nicht in Frage“. Diese Lesart wurde jedoch umgehend vom neutralen Landeswahlleiter dementiert. Man sei lediglich dem Wunsch der AfD nach Rechtsberatung nachgekommen, habe keinerlei Vorprüfung vorgenommen und vielmehr die Möglichkeit einer parteiinternen Sachverhaltsaufklärung erörtert.

Der bisherige Leiter des AfD-Landesschiedsgerichts, Alexander Zorn, trat von seinem Amt zurück, weil er die Liste so für nicht haltbar hält. Auch eine Mehrheit der vorigen Delegiertenversammlung sah Diskussionsbedarf. Versammlungsleiter Gottschalk, der diese Mehrheit festgestellt hatte, erklärt nun in Euskirchen allen Ernstes, „Mehrheit“ sei bloß ein „Versprecher“ gewesen.

Der Machtkampf tobt um eine Clique des angeschlagenen Pretzell, der sich mit nur 54 Prozent als Spitzenkandidat durchsetzen konnte. Obwohl Pretzell im EU-Parlament in einer Fraktion mit dem rechtsradikalen Front National sitzt, tritt er manchen nicht nationalkonservativ genug auf. Überdies wird dem Lebensgefährten der umstrittenen Parteichefin Frauke Petry ein zerrüttetes Verhältnis zu seinem Co-Vorsitzenden Martin Renner nachgesagt. Eine Neuwahl der Liste könnte Pretzell als Nummer eins nicht überstehen.

In den Hintergrund geraten ist das programmatische und personelle Angebot der AfD. Leute wie Listenbewerber Dietmar Gedig, ein 31-jähriger Kriminalkommissar aus Solingen. Er unterstellt in Euskirchen seinem Dienstherrn, Innenminister Ralf Jäger (SPD), „völlig versagt“ zu haben. Er nennt Polizei-Hundertschaften „politisch gesteuert“. Er ruft Sätze ins Mikrofon wie: „Diese Kanzlerin ist kriminell und wahnsinnig“. Oder: „Maas gehört weggesperrt“. Wieviele Polizisten ein wieder sicheres NRW denn benötige, wird er gefragt. Gedig weiß es nicht.

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