Interview mit Henriette Reker „Wir können in Köln sicher und fröhlich feiern“

Köln · Ein Jahr nach den Übergriffen in der Silvesternacht, die das Image Kölns international beschädigten, fiebern die Stadt und die parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker dem Jahreswechsel 2016 entgegen. Doch Reker ist überzeugt: Die Stadt ist gut vorbereitet.

Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist überzeugt, dass die Silvesternacht 2016 in Köln friedlich verläuft.

Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ist überzeugt, dass die Silvesternacht 2016 in Köln friedlich verläuft.

Foto: Benjamin Westhoff

Silvester steht kurz vor der Tür. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die Feiern in Köln denken?

Henriette Reker: Ich freue mich auf den Jahreswechsel, auch wenn der Anschlag von Berlin weiter große Betroffenheit bei mir auslöst. Ich weiß, dass wir in Köln sicher und fröhlich feiern können. Und ich freue mich sehr auf die geplante Lichtinstallation von Phillip Geist am Dom. Statt durch Feuerwerk wird das Domumfeld von diesem Lichtkunstwerk erleuchtet. Vielleicht ist das eine etwas weitgehende Erwartungshaltung, aber ich würde mir wünschen, dass damit bei dem einen oder anderen eine ganz neue Ästhetik des Silvesterfeierns entsteht.

Sind Sie kein bisschen angespannt? Das Sicherheitskonzept ist umfassend, aber man weiß schließlich nie genau, was passiert.

Reker: Man steckt nicht drin, richtig. Aber wir haben aus den Ereignissen von Silvester 2015 sehr schnell gelernt. Wir hatten seitdem eine ganze Reihe von Großveranstaltungen, denken Sie an Karneval, den Christopher-Street-Day, an die Kölner Lichter. Alle Veranstaltungen sind gut gelaufen, auch die Lichter, obwohl zwei Tage zuvor der Anschlag von Nizza war. Damals war ich, zugegeben, im Vorfeld angespannt. Aber wir Verantwortlichen haben uns sehr genau in die Augen geschaut, ob wir das Feuerwerk absagen müssen, und uns dann dagegen entschieden – die richtige Entscheidung.

Haben Sie die Silvester-Planungen nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt noch einmal überarbeitet?

Reker: Die Bewertung der Sicherheitslage ist Aufgabe der Polizei. Ich erwarte einen der Lage angemessenen Polizeieinsatz. Ich stehe dazu in einem engen Austausch mit dem Polizeipräsidenten.

Glauben Sie, dass die Ereignisse dieser Silvesternacht vor einem Jahr das Thema Feiern in der Öffentlichkeit auch in anderen Städten beeinflusst hat?

Reker: Was wir erlebt haben, war ein kriminelles Phänomen – in Köln besonders, aber nicht nur in Köln, sondern auch in anderen Städten. Nur Köln stand bei den Berichten immer im Vordergrund, auch lange danach. Das hatte auch mit den Bildern zu tun mit dem Dom im Hintergrund, das hatte zu tun mit dem Image Kölns als weltoffene und tolerante Stadt, die gerne feiert. Und dann das.

Und die Konsequenzen?

Reker: Wir haben die Sicherheitsarchitektur komplett auf neue Füße gestellt. Das hat gegriffen. Wir haben für uns die Verpflichtung abgeleitet, bei Veranstaltungen, für die es keinen anderen Verantwortlichen gibt wie Silvester und Karneval, diese Aufgabe zu übernehmen und zum Beispiel ein Sicherheitskonzept zu erstellen. Das funktioniert, und deshalb bin ich auch relativ entspannt.

Der große Polizeieinsatz in Köln bedeutet, dass woanders weniger Beamte zur Verfügung stehen. Gibt es deshalb Probleme mit anderen Städten in NRW?

Reker: Ich habe noch keine Kritik gehört. Aber es ist auch so, dass die Polizei ihre Kräfte so einsetzt, dass sie mobil sind und abgezogen werden können, wenn dies erforderlich ist.

Die Lebenslust der Stadt bleibt also erhalten, Köln wird Feierstadt bleiben?

Reker: Das gehört zu Köln, das ist wie die Vielfalt der Stadt Teil unserer DNA. Ich selbst bin ja kritisiert worden, weil ich unmittelbar nach den Silvester-Ereignissen an Karneval gedacht habe. Aber die Tollen Tage standen bevor mit Hunderttausenden Gästen, die feiern wollen. Um zu gewährleisten, dass die in Köln gut aufgehoben sind, mussten wir sofort handeln.

Hat das Image der Stadt unter den Ereignissen der Silvesternacht 2015 gelitten? Spüren Sie Auswirkungen, zum Beispiel bei den Besucherzahlen?

Reker: Die Zahl der Touristen ist tatsächlich leicht zurückgegangen. Das ist aber in allen Metropolen der Fall, wahrscheinlich als Folge der Anschläge von Paris, Brüssel und anderen Städten. Metropolen werden von Touristen insgesamt als gefährlicher eingestuft. Aber es stimmt: Das Image von Köln hat gelitten durch die Silvesternacht, das wollen wir nicht beschönigen.

Was tun Sie dagegen?

Reker: Meine Botschaft in allen Gesprächen ist: Köln ist viel mehr als die Silvesternacht am Hauptbahnhof. Ich habe alle Messen besucht und mit den Ausstellern über die Sicherheitslage in der Stadt gesprochen. Ich habe über den deutschen Städtetag initiiert, dass sich nicht nur die Ordnungsamtsleiter der Städte regelmäßig treffen, um über Sicherheitsfragen zu reden, sondern das Thema Sicherheit zuständigkeitsübergreifend behandelt wird, in verschiedenen Ausschüssen.

Wie gehen die Kölner selbst mit dem Thema um?

Reker: Die Kölner Silvesternacht polarisiert. Interessanterweise ist mein Eindruck, in der Stadt selbst wird am wenigsten darüber gestritten. In Köln gibt es über 200 Willkommensinitiativen für Flüchtlinge, und selbst jene Helfer, die mittlerweile ein wenig müde sind, sagen: Das hat nichts mit der Silvesternacht zu tun, sondern mit den bürokratischen Hürden, mit denen sie zu kämpfen haben.

Sind Sie eigentlich zufrieden mit der juristischen Aufarbeitung der Geschehnisse? Es ist ja kaum ein Täter zur Verantwortung gezogen worden.

Reker: Damit kann ich nicht zufrieden sein. Ich kann die Frustration darüber, dass die Täter nicht gefasst und verurteilt werden, sehr gut nachvollziehen. Aber es war von Anfang an klar, dass die Strafverfolgung schwierig werden würde. Die Videoüberwachung, die hochauflösenden Kameras, die wir in der kommenden Silvesternacht einsetzen werden, hatten wir vor einem Jahr nicht. Und die Auswertung von Handyvideos ist äußerst schwierig.

Glauben Sie, dass die Silvesternacht den Landtagswahlkampf im kommenden Jahr beeinflussen wird?

Reker: Ich fürchte ja. Erstens gibt es noch den Untersuchungsausschuss, der ja vor allem politische Bewertungen trifft. Und natürlich wird das Thema im Wahlkampf benutzt. Damit müssen wir wohl leben.

Wenn die Silvesternacht 2016 unauffällig über die Bühne geht: Ist das Thema für Sie dann endgültig erledigt?

Reker: Sicherlich nicht. Diese Vorfälle werden in unserem Gedächtnis bleiben, das muss man immer wieder überdenken, um solche oder ähnliche Geschehnisse in Zukunft zu verhindern.

Wo sehen Sie die Hürden für eine bessere Integration von Flüchtlingen?

Reker: Wie in allen Städten mit Wohnungsknappheit ist die Unterbringung das größte Hindernis. Wir haben schon vor Jahren festgelegt, dass in Köln niemals Zelte zur Unterbringung von Flüchtlingen aufgestellt werden. Das finde ich nach wie vor richtig. Es führt aber dazu, dass wir seitdem im vergangenen Jahr Turnhallen nutzen müssen. Aus der Turnhalle heraus hat man aber noch niemanden gesellschaftlich integriert.

Die Stadt Köln hat den Ruf, unregierbar zu sein. Wie ist Ihr Fazit nach einem Jahr im Amt der Oberbürgermeisterin ?

Reker: Ich hätte mir gewünscht, manche Prozesse, die ich für wichtig halte, deutlich schneller umzusetzen. Aber Köln ist eine große Stadt mit einer großen Verwaltung, und alles dauert seine Zeit. Wir arbeiten jedoch am Umbau der Verwaltung, und der wird Früchte tragen: eine dienstleistungsorientierte und effiziente Verwaltung wird entstehen, die Bürgerbeteiligung als Chance begreift.

Welche Aufgaben sind für Sie in Köln vordringlich zu erledigen?

Reker: Wir haben rund 200 Schulbauprojekte vor der Brust, Neubauten und Renovierungen. Diese Projekte müssen wir beschleunigen. Insgesamt müssen wir den Wohnungsbau stimulieren, Investoren finden, Grundstücke identifizieren und baureif machen. Und natürlich bleibt die Integration von Flüchtlingen ein großes Thema. Die Turnhallen jedenfalls möchte ich im kommenden Jahr freigeräumt haben.

Die Bezirksregierung wünscht sich, dass die rheinischen Städte Köln, Bonn, Düsseldorf stärker zusammenarbeiten, eine Metropolregion bilden…

Reker: Der Wunsch könnte in Erfüllung gehen. Die Vorteile einer Metropolregion liegen ja auf der Hand, wenn Sie nur an die internationale Strahlkraft denken. Für mich gehören übrigens auch die Landkreise zu einer solchen Metropolregion.

Warum?

Reker: Alleine für Köln wird bis 2040 ein Einwohnerwachstum von 200.000 Einwohnern vorausgesagt. Auch Bonn oder Düsseldorf wachsen. Ohne die Zusammenarbeit mit den Landkreisen werden wir dieses Wachstum nicht bewältigen können. Da geht es um Bauland, um Straßen, um Schulen, um Bahnstrecken. Wenn wir es hinbekommen, mit einer Stimme zu sprechen, werden wir ganz anderen Zugriff bekommen auf Fördermittel oder internationale Investitionen.

Dafür müssten Kölner und Düsseldorfer ihre gepflegte Antipathie vergessen?

Reker: Düsseldorf ist eine großartige Stadt und hat seine Stärken. Wir haben eine große Chance, wenn wir unsere Stärken bündeln können.

Und wer darf sich dann Zentrum der Metropolregion nennen?

Reker: Bonn ist Bundesstadt, Düsseldorf ist Landeshauptstadt, Aachen Kaiserstadt. Köln ist zwar Domstadt, aber es stände uns auch gut, Metropolstadt zu sein. Hier gibt es großartige Büroimmobilien, die das auch optisch gut verkörpern würden.

Und da gibt es keine abweichenden Vorstellungen?

Reker: Klar hätte mein Kollege Thomas Geisel den Sitz gerne in Düsseldorf. Aber ich denke, wir werden uns einigen.

Man kann den Eindruck gewinnen, Köln ist sich seiner Stärken manchmal zu bewusst. Stört Sie diese Selbstzufriedenheit?

Reker: Das ist ein wunder Punkt. Die Kölner sind sich manchmal selbst genug und geben sich zu schnell mit den Verhältnissen zufrieden. Aber wir sind auf einem guten Weg, eine Reihe dieser ganz alten Zöpfe abzuschneiden. Dazu gehört übrigens auch die traditionelle Abneigung gegenüber Düsseldorf. Ich kann mit dieser Art der Folklore sowieso nichts anfangen.

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