Interview mit Claudia Kemfert „Die Landesregierung in NRW hat viel nachzuholen“

BONN · Energieexpertin spricht im Interivew über Claudia Kemfert über Klimapolitik, Energiewende und den Ausstieg aus der Kohleverstromung.

Die rot-grüne Landesregierung in NRW hat ein Klimaschutzgesetz und einen Klimaschutzplan auf den Weg gebracht. Zugleich gehört das Land zu den größten Umweltverschmutzern. Wie weit ist NRW auf dem Weg der Energiewende?

Claudia Kemfert: Die derzeitige Landesregierung in NRW hat viel nachzuholen, da Klimaschutz bisher vernachlässigt wurde. Mittlerweile hat sich NRW zumindest auf den Weg gemacht, die Energiewende einzuleiten und mehr für den Klimaschutz zu tun.

Lassen sich die Klimaschutzziele ohne einen schnellen Ausstieg aus der Braunkohle erreichen?

Kemfert: Kaum. Zumindest die alten und ineffizienten Kraftwerke sollten sofort vom Netz. Dann benötigen wir einen schrittweisen und strukturverträglichen Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahre 2040. NRW hat den Kohleausstieg ja schon hinter sich, die Steinkohlezeiten sind vorbei. Von mehreren hunderttausend Arbeitsplätzen in den letzten Jahrzehnten sind nur noch wenige übrig. Für NRW ist der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung mit riesigen wirtschaftlichen Chancen verbunden.

Wie lässt sich der Ausstieg ohne soziale Verwerfungen ermöglichen?

Kemfert: Indem man den Strukturwandel klug begleitet. Wichtig ist es, dass gemeinsam mit der Landesregierung und den Kohleunternehmen ein strukturverträglicher Umstieg erarbeitet wird. Ein Strukturfonds kann sicherlich helfen, den Wandel effektiv zu begleiten. Schon heute arbeiten deutlich mehr Personen im Bereich der erneuerbaren Energien als in der Kohleindustrie. Auch im Bereich der Energieeffizienz, der nachhaltigen Mobilität entstehen zukunftsfähige Arbeitsplätze. NRW als Hauptindustrieland kann enorm von den Investitionen in die neuen Märkte profitieren.

Wo sehen Sie die Zukunft der Energieerzeugung und -versorgung in NRW? Lässt sich mit Windkraft oder Solarenergie die Versorgung eines Industrielandes sicherstellen?

Kemfert: Das zukünftige Energiesystem wird dezentraler, flexibler und intelligenter sein, basierend auf erneuerbare Energien und mehr Energieeffizienz. Ein effektives Energiemanagement und eine optimale Steuerung von volatilem Angebot und Nachfrage erfordern Flexibilität mittels intelligenter Netze und mittelfristig mehr Speicherung. Dies erfordert mehr Digitalisierung, Messung und Steuerung sowie Preisinformationen in Echtzeit. In Phasen von hoher Stromproduktion aus erneuerbaren Energien können Wärmespeicher, Batterien oder aber die Herstellung von Wasserstoff oder Methan eine effektive Sektorkopplung auch zum Wärme- und Mobilitätsbereich ermöglichen. So ist eine sichere Energieversorgung für alle Bereiche auch und gerade in NRW möglich.

Das Projekt eines großen Pumpspeicherkraftwerks in der Eifel ist vor Kurzem auch am Widerstand der Bevölkerung gescheitert. Aber funktioniert die Energiewende ohne solche Speichertechnologien überhaupt?

Kemfert: Speicher sind zukünftig wichtig für die Energiewende, gerade auch mit zunehmenden Anteilen erneuerbarer Energien. Pumpspeicherkraftwerke sind zwar Kurzfristspeicher, können aber die notwenige Flexibilität für das Energiesystem effektiv bereitstellen. Daher ist es durchaus wünschenswert, auch in NRW derartige Speicher zu nutzen.

Die öffentliche Debatte vermittelt oft den Anschein, dass Umwelt- und Klimaschutz und Wirtschaftsinteressen nicht zusammengehen. Ist das wirklich zwangsläufig so?

Kemfert: Nein, das Gegenteil ist richtig. In keinen anderen Bereich werden in den kommenden Jahrzehnten mehr Investitionen fließen als in die nachhaltigen Energie- und Verkehrsmärkte. Schon heute fließen global mehr Investitionen in erneuerbare Energien als in fossile Energien. Fossile Energien bergen enorme wirtschaftliche Risiken, weltweit gesehen sind viele Kohleunternehmen insolvent. Zukunftsweisende Investitionen in nachhaltige Energiemärkte hingegen schaffen dauerhaft Wertschöpfung und Arbeitsplätze, zudem bringen sie wichtige Innovationen hervor und ermöglichen so einen Wettbewerbsvorteil. Der Wettlauf um die Märkte der Zukunft hat bereits begonnen. Wer zu lange an der Vergangenheit festhält, wird schnell abgehängt. Klimaschutz schafft große wirtschaftliche Chancen!

Nordrhein-Westfalen gilt auch als Stauland Nummer eins. Was bedeutet Energiewende für den Verkehr?

Kemfert: Die Energiewende geht nicht ohne Verkehrswende. Erneuerbare Energien können für die Elektromobilität genutzt werden, zudem können klimaschonende Antriebsstoffe auch als Speicher nützlich sein. Nicht nur um die klimagefährlichen Emissionen deutlich zu senken, werden klimaschonende Antriebe in der Zukunft benötigt. In Ballungsräumen verursachen herkömmliche Verbrennungsmotoren vor allem gesundheitsschädlichen Feinstaub und außerdem noch Lärm. Daher sollte eine nachhaltige Mobilitätsstrategie auf Verkehrsvermeidung, -optimierung und den Einsatz umweltschonender Antriebstechnologien setzen. Dazu sollten der ÖPNV und der Schienenverkehr gestärkt werden, und klimaschonende Antriebstechnologien für alle Verkehrsbereiche, wie Güter-, Individual-, Luft- und Schiffsverkehr zum Einsatz kommen.

Was müsste die Landesregierung tun, um beim Klimaschutz auf Kurs zu bleiben?

Kemfert: Wichtig ist der konsequente Umstieg auf erneuerbare Energien, ein schrittweiser Kohleausstieg sowie die Umsetzung einer nachhaltigen Verkehrsstrategie, die auf Verkehrsvermeidung, elektrischer Mobilität und klimaschonenden Antriebsstoffen und -technologien basiert.

Der Verbraucher verbindet mit der Energiewende vor allem steigende Strompreise durch das EEG. War das EEG ein Irrweg?

Kemfert: Nein, das EEG ist ein Erfolgsmodell, da es die Kosten erneuerbarer Energien konsequent gesenkt hat. Der Strompreis steigt vor allem, da zu lange an dem alten Energiesystem festgehalten wird. Wir bezahlen einen überdimensionierten Netzausbau, welcher den Strompreis unnötig stark ansteigen lässt, zudem werden unnütze „Kohleabwrackprämien“ gezahlt für Kraftwerke die ohnehin vom Netz gegangen wären. Sinkende Strombörsenpreise werden nicht an die Verbraucher weitergegeben. Dabei steigt die EEG- Umlage in erster Linie aufgrund des niedrigen Strombörsenpreises und der vielen Industrieausnahmen. Die wahren Kostentreiber bleiben dem Stromkunden verborgen, die erneuerbaren Energien müssen einmal mehr als Sündenbock für Strompreissteigerungen herhalten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Bekenntnis zur Truppe
Kommentar zum Veteranentag Bekenntnis zur Truppe
Nicht ohne Nachteil
Kommentar zur Wahlrechtsreform Nicht ohne Nachteil
Zum Thema
Aus dem Ressort