Interview mit NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans „Das Ehegattensplitting ist überholt“

Bonn · NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans über Steuerentlastungen, Städte und Gemeinden im Nothaushalt sowie manipulierte Kassen.

 Die SPD will 80 bis 90 Prozent der Steuerzahler entlasten, sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans im GA-Redaktionsgespräch.

Die SPD will 80 bis 90 Prozent der Steuerzahler entlasten, sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans im GA-Redaktionsgespräch.

Foto: sebastian fink

Das Land hat erstmals seit 1973 wieder einen Haushaltsüberschuss. Ist das Glück oder Können?

Norbert Walter-Borjans: Beides. Rückenwind hilft, aber man muss auch einen klaren Kurs haben. Wir haben die Kreditaufnahme Jahr für Jahr gesenkt und sind immer unter unseren Planungen geblieben. Natürlich haben wir auch günstige Steuereinnahmen und Zinssätze. Derzeit können wir sogar vorsorgen. Wir schließen Kredite mit einer Laufzeit von 30 Jahren ab, für die wir nicht einmal zwei Prozent bezahlen müssen.

Neue Kredite? Sie haben doch einen Haushaltsüberschuss.

Walter-Borjans: Wir schichten um, indem wir auslaufende höherverzinste Anleihen durch neue mit deutlich günstigeren Konditionen ersetzen, und zwar möglichst langfristig.

Lange Zeit galt das Ziel des schlanken Staates. Jetzt werden wieder Richter und Polizisten gebraucht. Baut das Land hier langfristig neue Verpflichtungen auf?

Walter-Borjans: Die Bürger wollen einen handlungsfähigen Staat. Sie sehen, dass bei der Polizei zu lange der Rotstift regiert hat und im Straßenbau in früheren Jahren Planungskapazitäten abgebaut wurden. Da haben wir schon viel unternommen.

Sind die Steuern zu hoch, zu niedrig oder angemessen?

Walter-Borjans: Angemessen. Man muss aber über eine andere Verteilung der Lasten reden.

Sie arbeiten an einem bundesweiten SPD-Konzept mit. Wo würden Sie denn entlasten?

Walter-Borjans: Bei 80 bis 90 Prozent der Steuerzahler.

In welcher Höhe?

Walter-Borjans: Genaue Zahlen sind noch nicht spruchreif, fest steht aber: Da geht es nicht um Taschengeldbeträge. Was mir aber auch ganz wichtig ist: Das derzeitige System des Ehegattensplittings ist überholt, weil über 40 Prozent der Kinder in Haushalten aufwachsen, die von dieser Förderung nichts haben. Da muss etwas neu justiert werden.

Das dürfte hohe Steuerausfälle zur Folge haben.

Walter-Borjans: Investieren, Schulden abbauen und Steuern senken auf einmal geht nicht. Wer Entlastung verspricht, muss sagen, worauf er verzichten will. Oder – das ist unser Ansatz – wir beteiligen endlich diejenigen angemessen, die ihre Steuern hinterziehen oder sie trickreich umgehen. Wenn der Bundesfinanzminister da konsequenter wäre, hätten wir einen zweistelligen Milliardenbetrag mehr zur Verfügung.

Und warum geschieht das nicht?

Walter-Borjans: Weil vieles von dem, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, im Bundesfinanzministerium oder von CDU und CSU blockiert wird.

Wer blockiert denn da?

Walter-Borjans: Dass Lobbygruppen da Einfluss nehmen, ist inzwischen kein Geheimnis mehr. Nehmen Sie Finanzprodukte zum Steuernsparen oder die Erbschaftsteuer-Debatte. Oder die Manipulation von Registrierkassen. Da entgehen dem Fiskus fünf bis zehn Milliarden Euro pro Jahr. Mitte 2014 waren die Finanzminister von Bund und Ländern der Meinung, etwas dagegen tun zu müssen. Das Finanzministerium hatte auch zugesagt, bis Herbst einen Gesetzesvorschlag zu machen. Erst 2016 kam einer, der aber war zuerst unzureichend. Die ganze Geschichte ist verzögert, verwässert und durchlöchert worden.

Auch in Europa läuft es nicht in Sachen Steuergerechtigkeit. Was halten Sie davon, dass zum Beispiel Linde den Firmensitz nach Irland verlegt, um Steuern zu sparen?

Walter-Borjans: Niemand bestreitet, dass Irland, Portugal, Bulgarien oder Griechenland ungünstigere Voraussetzungen für wirtschaftliche Entwicklung haben. Es darf daher Unterschiede bei der Besteuerung geben. Aber wenn das jeder für sich macht, kommen wir in einen ruinösen Wettbewerb. In der alten Bundesrepublik hatten wir mal Zonenrandgebiete mit steuerlichen Sonderregeln. Die aber hat nicht das Zonenrandgebiet aufgestellt, sondern der Gesamtstaat mit dem Ziel, so viel Gefälle zuzulassen, damit die Gebiete auch attraktiv sind, ohne den anderen zu schaden.

Zurück nach NRW: In der Finanzverwaltung fehlen über 1000 Stellen. Muss das Land mehr tun?

Walter-Borjans: Wir tun schon eine Menge. Trotzdem: Ja. Es gibt aus der gewerblichen Wirtschaft hohe Anreize für gut ausgebildete Leute aus der Finanzverwaltung, auf die andere Seite des Tisches zu wechseln. Wir können in der öffentlichen Verwaltung nicht einfach pauschal mehr Geld zahlen, aber wir können Anreize durch Aufstiegsmöglichkeiten und bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf schaffen.

Sie haben 50 befristete Stellen für die Finanzämter ausgeschrieben. Dabei läuft ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz doch Sturm gegen befristete Stellen. Wie passt das?

Walter-Borjans: Wir haben 50 dauerhafte Arbeitsplätze für Quereinsteiger ausgeschrieben. Die müssen aber fachlich qualifiziert werden. Dieses halbe Jahr und eine weitere halbjährige Erprobung als sachgrundlose Befristung zu bezeichnen, ist schon sehr gewagt. Mein Ziel ist die Stärkung der Finanzverwaltung mit dauerhaften Arbeitsverhältnissen.

Viele Kommunen stöhnen über hohe Schulden. Können Sie denen Hoffnungen machen, dass sich ihre Lage bessert?

Walter-Borjans: Die Kommunen erhalten so viel Geld vom Land wie noch nie. Seit Antritt dieser Landesregierung sind die Zuweisungen um 70 Prozent gestiegen. Aber die Aufgaben der Städte und Gemeinden sind ebenfalls gewachsen, vor allem im sozialen Bereich.

Im Regierungsbezirk Köln haben von rund 100 Kommunen nur vier einen ausgeglichenen Haushalt. Das kann doch nicht sein, wenn das Land Überschüsse erwirtschaftet.

Walter-Borjans: Insgesamt hat sich die Lage der Kommunen stark gebessert: Statt 138 Nothaushalten in 2010 haben wir aktuell zum Beispiel nur noch sieben. Aber auch die haben im Regelfall das Geld nicht verschwendet, sondern wirkliche Probleme. Deshalb müssen wir noch mehr Energie da reinstecken, um diesen Kommunen zu helfen.

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