Pegida und NoPegida "Mancher fragt sich: Was bringt das Mitlaufen noch?"

DRESDEN · Natürlich, auch nächsten Montag werden die Pegidaisten wieder "spazieren", werden Gegner protestieren - doch wie lange halten beide Seiten das Ritual durch?

 Fremdenfeindlichkeit oder Statussorge? Legida-Demonstranten mit Plakaten.

Fremdenfeindlichkeit oder Statussorge? Legida-Demonstranten mit Plakaten.

Foto: AFP

Und wohin verschwinden all jene diffusen Ressentiments, wenn die Frustbürger auch auf Spazieren keine Lust mehr haben? Zwei Protestforscher haben die gängigsten Thesen durchleuchtet.

These 1: Pegida geht der Dampf aus

Mit 40.000 Frustbürgern in Leipzig hatte Legida am Mittwochabend gerechnet, tatsächlich erschienen sind 15.000. Das ist immer noch eine Menge, doch der rasante Zulauf bei den Verteidigern des Abendlandes scheint sich abzuschwächen. "Die Bewegung hat ihren Höhepunkt erreicht", sagt Professor Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er glaubt: "Zwei, drei Wochen gehen die Protestkundgebungen noch in dem bekannten Ausmaß weiter, dann schwächen sie sich ab ."

Als Gründe nennt er das Fehlen einer gewachsenen, soliden Verbandsinfrastruktur bei Pegida: "Die Bewegung ist mit wenigen Leuten gestartet und schnell gewachsen, indem sie eine Stimmung getroffen und ausgebeutet hat." Geführt werde sie nicht von Profis, sondern Profiteuren. Sie würden es laut Rucht kaum schaffen, die ganz verschieden motivierten Mitläufer und Milieus langfristig zu binden. "Bei Pegida Dresden gibt es einen harten Kern stadtbekannter, dezidiert Rechtsradikaler. Hinzu kommt eine Gruppe kräftiger, fußballaffiner junger Männer mit Machogehabe, die aber nicht politisch engagiert sind." Dritte und größte Fraktion seien heimat- und traditionsverbundene Normalbürger.

Rucht: "Sie signalisieren mit ihrem Protest: Ich komme in dieser schnelllebigen Welt nicht zurecht, will mich auf das verlassen können, was ich kenne, und die Figur des Fremden mag ich erst mal nicht." Nicht rechtes Gedankengut treibe sie, nicht Ausländerfeindlichkeit, sondern Statusverunsicherung. "Radikale, Moderate und Nazis kann man aber in der Masse nicht zusammenhalten", meint Rucht. Er sieht Parallelen zwischen der sehr bunten, rasch in sich zusammengefallenen "Occupy"-Bewegung und Pegida.

Zweites Argument für die Verpuffungsthese: Rückenwind habe die Bewegung bislang durch Medienresonanz, nicht durch Inhalte erhalten. "Langsam langweilen sich die Medien zu Recht", sagt Rucht. Er prophezeit: Die Berichterstattung wird weniger, und damit schrumpft auch die Attraktivität von Pegida. "Mancher wird sich fragen: Was bringt das noch, wenn ich da jeden Montag hinlaufe - und zu Hause bleiben", sagt Rucht.

These 2: Pegida wird stärker, weil Kritik und Gegendemonstrationen wie Wachstumshormone wirken

Kanzlerin Angela Merkel hat in ihrer Neujahrsansprache dazu aufgerufen, nicht bei Pegida mitzumarschieren, der Erzbischof von Köln ließ die Dombeleuchtung ausknipsen, bundesweit versammeln sich Tausende in Städten, um den Pegida-Schwestern Weg und Wort abzuschneiden. Was hat das gebracht? Wenig. Denn aus Solidarität und Trotz gingen noch mehr Bürger mit Pegida auf die Straße. Auch im Ausland bilden sich inzwischen Ableger: Nationalisten in Belgien haben zu "Pegida Vlaanderen" aufgerufen.

Auch in der Schweiz, in Dänemark und in Norwegen mobilisieren Sympathisanten. Doch die Wissenschaftler geben einer pan-europäischen Bewegung wenig Chancen: "Das Pegida-Personal ist nicht prädestiniert für eine transnationale Mobilisierung", glaubt Rucht. Dass wenig für These 2 spricht, liegt auch daran, dass die Politik mittlerweile gelernt hat. "Bei Pegida sind nicht nur Rechtsextreme auf der Straße", betont Professor Werner J. Patzelt von der Technischen Universität Dresden. Deshalb würden sich viele vernünftige, hart arbeitende Teilnehmer durch diese Einschätzung "aufs Äußerste verkannt und verleumdet" fühlen.

Eben das habe eine Jetzt-erst-recht-Haltung und das Anwachsen der Bewegung bewirkt. In Sachsen habe die Politik das erkannt, und in verschiedenen Bürgerforen komme es nun allmählich zur Kommunikation zwischen Pegida, No-Pegida und Politik. "Eine höfliche, auf Verstehen ausgerichtete und arroganzfreie Kommunikation mit Pegida-Anhängern" ist laut Patzelt der geschickteste Weg, der Bewegung den Antrieb zu nehmen.

These 3: Pegida hat langfristig nur in Dresden Erfolg

Dresden ist die Wiege der Pegida-Bewegung, hier hat alles begonnen, hier ist sie am stärksten. Professor Patzelt hat eine Erklärung: "Im Osten ist das Vertrauen zum politischen System und zu den Politikern seit der Wiedervereinigung deutlich geringer als im Westen." Die Schwungmasse von Pegida bestehe aus Leuten, die den Eindruck haben, "dass unsere Politik auf wichtigen Feldern keine klare, überzeugende Richtung hat - zumal bei der Wandlung Deutschlands zum Einwanderungsland, bei der Rolle Deutschlands in der EU und der Eurozone, und bei der Frage, ob wir weiterhin eine deutsche Leitkultur haben sollten."

Im Osten sei daher auch die Chance - oder das Risiko -, diese Repräsentationslücke von rechts und durch eine Bewegung auf der Straße zu schließen, viel größer als im Westen, so Patzelt. Doch warum ausgerechnet in Dresden, einer Stadt mit stolzer, wohlhabender Bürgerschaft? Dass sich nur in Dresden dieses Magma einen Vulkankanal bahnen kann, erklärt Patzelt so: "Es braucht eine große Stadt, um aus einer bescheidenen Facebook-Gruppe eine große Bewegung werden zu lassen." Zudem brauche es eine Stadt mit konservativer Unterströmung, weil nämlich die Bekundung von Problemen mit zunehmender Einwanderung nach Deutschland, woran sich Pegida entzündet habe, als ein "rechtes" Anliegen gelte.

"Wenn man nun auf eine Karte von Ostdeutschland schaut, gibt es da nur Dresden, das diese beiden Bedingungen erfüllt", sagt er. Bester Beleg: In Leipzig mit ausgeprägter linker Szene fällt Legida schwächer aus. Der These, dass Dresdner wegen Abkoppelung vom West-Fernsehen zu DDR-Zeiten ("Tal der Ahnungslosen") einfach anfälliger seien für Ängste vor dem, was als Islamisierung wahrgenommen wird, erteilt er eine klare Absage: "Grotesker Unsinn, der nur von ignoranten Wessis geglaubt werden kann." Rucht wie auch Patzelt glauben, dass die Bewegung selbst in Dresden abflachen wird.

These 4: Pegida lässt sich von der Alternative für Deutschland (AfD) übernehmen oder gründet eine neue, rechtspopulistische Partei

"Mein Gefühl sagt mir, dass die AfD es schaffen könnte, in Parlamenten das zu vertreten, was Pegida auf der Straße vertritt", sagt Patzelt. Eine erfolgreiche Partei-Neugründung hingegen sieht der Berliner Forscher Dieter Rucht skeptisch. Er verweist auf die rechtsextreme NPD, die sich mit internen Flügelkämpfen selbst sabotiere: "Das Sammeln und Versöhnen klappt in Parteien mit starken Rivalitäten zwischen den Lagern nicht gut. Das würde auch für Pegida gelten".

Auch er sieht gute Chancen, dass die AfD die bleibenden Ressentiments der Frustbürger für sich nutzt und damit CDU und CSU Stimmen kostet: "Wenn die etablierten Parteien sich scharf von Pegida abgrenzen, schaffen sie erst recht Raum für AfD." Avancen der AfD gegenüber Pegida gibt es bereits: In Sachsen und Brandenburg ist von "natürlichen Verbündeten" und "inhaltlichen Schnittmengen" die Rede.

These 5: Pegida bringt die etablierten Parteien dazu, andere Zuwanderungsgesetze zu erlassen

In der Tat gewinnt die Debatte um Zuwanderung an Fahrt. SPD-Chef Sigmar Gabriel hält sie für längst überfällig. Die FDP hat gleich ein neues Konzept zur Zuwanderung vorgelegt, in dem sie nach kanadischem Vorbild Einwanderung nach Punktesystem fordert. Je besser oder passender Zuwanderer qualifiziert sind, desto eher sollen sie in Deutschland eine Arbeitserlaubnis erhalten.

Mittlerweile hat sich auch die AfD für ein Punktesystem ausgesprochen. Die CDU fordert, eine Liste an Kriterien zu definieren, um den Bedarf an Zuwanderern besser zu bestimmen. Die Diskussion um ein modernes, stimmiges Zuwanderungsgesetz geht nicht auf Pegida zurück; ihre Forderungen könnten der Reform jedoch eine andere Ausprägung geben, als ursprünglich geplant.

LEGIDA: Am Ende gab es Tumulte - Leipzig erwägt Auflagen

Nach den Tumulten rund um die islamkritische Legida-Demonstration will Leipzig Konsequenzen ziehen. Angesichts von Pöbeleien, Aggressivität und Gewalt werde über Auflagen für die für kommende Woche angemeldete Kundgebung nachgedacht, sagte Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) gestern.

Er sei erleichtert, dass die Polizei die Lage am Mittwochabend im Griff gehabt habe und so viele Menschen trotz Absperrungen Flagge gegen den Pegida-Ableger Legida gezeigt hätten. "Die Legidas haben klar die Maske fallen lassen", sagte er weiter. Es habe sich gezeigt, dass sie eine andere, eine "deutschnationale Gesellschaft" wollen. Nach Angaben der Stadt nahmen an dem Legida-Aufmarsch 15 000 Menschen teil, bei den Gegendemonstrationen waren es mehr als 20.000.

Trotz Einsatzes von 4000 Polizisten war es am Abend zu Auseinandersetzungen gekommen. Einige Beamte wurden von Böllern, Flaschen oder Laserpointern verletzt. Auf dem Hauptbahnhof und im Citytunnel setzten Unbekannte Anlagen der Bahn in Brand, was den Zugverkehr behinderte. Auch Journalisten seien attackiert worden, so die Polizei. Die "Leipziger Volkszeitung" berichtete, die Angriffe auf Journalisten seien aus dem Legida-Lager gekommen. Drei Randalierer wurden nach Polizeiangaben noch in der Nacht zu Donnerstag festgenommen.

Die Pegida-Bewegung in Dresden prüft unterdessen eine Unterlassungsklage gegen den Leipziger Ableger Legida. Dessen Organisatoren hätten sich bislang geweigert, den Pegida-Forderungskatalog zu übernehmen. Nach dem Demonstrationsverbot vergangene Woche in Dresden will Pegida am Montag aller Voraussicht nach wieder in der sächsischen Landeshauptstadt auf die Straße gehen. Sie gehe davon aus, dass es nach dem Rücktritt des Pegida-Gründers Lutz Bachmann "genauso weitergeht wie bisher", sagte Sprecherin Kathrin Oertel dem "Tagesspiegel".

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