Interview mit Sascha Rahn "Wir sind nicht der Fanclub der Bundeswehr"
Reservisten werden in allen Bereichen der Bundeswehr als personelle Verstärkung eingesetzt. Doch bei den aktiven Soldaten könnte das Image der Reservisten besser sein. Das findet Sascha Rahn, Vizepräsident des Reservistenverbandes, der seinen Sitz in Bad Godesberg hat. Mit ihm sprach Bernd Eyermann.
Was macht Ihr Verband?
Sascha Rahn: Er vertritt die Interessen aller ehemaligen Bundeswehrsoldaten in Deutschland. Wir haben zurzeit etwa 113 000 Mitglieder, die in Kameradschaften und Arbeitsgemeinschaften flächendeckend über das ganze Land verteilt sind und auf lokaler Ebene Veranstaltungen organisieren. Wir halten damit das Thema Bundeswehr am Leben, wo Bundeswehr ansonsten nicht mehr stattfindet.
Wo findet Bundeswehr denn nicht mehr statt?
Rahn: Es gibt Regionen, in denen seit der Schließung von Standorten die Bundeswehr nicht mehr vertreten ist. Durch die Aussetzung der Wehrpflicht ist die Bundeswehr zudem generell aus den Köpfen vieler Menschen verschwunden. Hier sind die Reservisten sicher die richtigen Mittler in die Gesellschaft hinein.
Inwiefern?
Rahn: Die Diskussionen, die früher am Küchentisch oder im Wohnzimmer stattgefunden haben, weil zum Beispiel der Sohn, Enkel oder Cousin Wehrpflichtiger war, die fallen heute oft weg. Da sind dann auch wir als ehemalige Soldaten gefragt, darüber zu reden, dass die Bundeswehr sinnvoll ist und es richtig und gut ist, für die Freiheit und Demokratie des Landes einzutreten.
Eine neue Rolle für die Reservisten.
Rahn: Keine neue Rolle - aber eine, die an Bedeutung gewonnen hat.
Wer engagiert sich bei Ihnen? Ehemalige Zeitsoldaten? Frühere Wehrpflichtige?
Rahn: Das geht querbeet. Am schönsten wäre es natürlich, wenn sich alle ehemaligen Soldaten nach Ausscheiden aus der Bundeswehr in der Reserve engagieren würden. Aus eigener Erfahrung aber weiß ich, dass die Frage, wann ich als Nächstes die Uniform anziehe, nicht ganz oben auf der Liste steht, wenn man die Bundeswehr gerade verlassen hat. In der Regel kommen die Leute auf uns zu, wenn sie ein paar Jahre im Zivilberuf sind und merken, dass ihnen da ein paar Dinge fehlen, die ihnen bei der Bundeswehr Spaß gemacht haben - sei es die Kameradschaft oder auch die Ausbildung unter freiem Himmel.
Wie sieht der Einsatzplan von Reservisten aus?
Rahn: Es gibt mehrwöchige Reservistendienstleistungen, Urlaubsvertretungen, längeren Reservistendienst zum Beispiel an Bord von Schiffen, wo Sie nicht nach zwei Wochen schon wieder ausgeflogen werden können. Je nach Verwendung, zum Beispiel bei einem Auslandseinsatz, können das auch schon einmal mehrere Monate sein.
Das macht sicher nicht jeder Arbeitgeber mit.
Rahn: Richtig. Der eine sagt, Reserve ist zwar wichtig, aber freistellen kann ich dich nicht. Andere sagen ganz überzeugt, drei Wochen im Jahr gebe ich dir frei, damit du dich bei der Bundeswehr engagieren kannst. In vielen Fällen kommen Mitarbeiter mit Erfahrungen oder Ausbildungen zurück, für die der Arbeitgeber zu Hause viel Geld hätte ausgeben müssen.
Gibt es auch Frauen im Verband?
Rahn: Von den Mitgliedern sind knapp unter fünf Prozent Frauen. Tendenz steigend. Anders sieht es bei den hauptamtlichen Mitarbeiterinnen aus: Da sind es 144 von 289, also fast genau 50 Prozent.
Was waren Ihre Beweggründe, sich über die Dienstzeit hinaus für die Bundeswehr zu engagieren?
Rahn: Im Studium in Bonn habe ich mich mit Außen- und Sicherheitspolitik befasst und nutzte die Semesterferien für Reservistendienstleistungen bei der Marine - mit dem Verband kam ich über das sicherheitspolitische Magazin Loyal in Kontakt. Mir ist wichtig, dass im Verband auch ein kritischer Umgang mit der Bundeswehr gepflegt wird. Wir sind nicht der reine Fanclub der Bundeswehr, sondern sagen auch konstruktiv, was nicht läuft.
Was läuft denn nicht gut?
Rahn: Die Bundeswehr kann natürlich nichts dafür, dass sich viele Arbeitgeber querstellen, was Freistellungen angeht. Besser werden kann sie darin, schon bei den aktiven Soldaten für das spätere Reservistendasein Werbung zu machen. Leider sehen uns einige Aktive oft noch als Reservebank und weniger als Pool von Experten, die sie gut gebrauchen könnten. Diese Wahrnehmung hat sich zum Glück in den letzten Jahren gewandelt. Wir brauchen auch eine weitere Entbürokratisierung. Vor einer Übung zweimal zum Truppenarzt fahren zu müssen und während des Einsatzes wochenlang auf einen Dienstrechner zu warten, um Beispiele zu nennen, das steigert nicht unbedingt die Motivation.
Wie sicher ist, dass der Reservistenverband seinen Sitz weiter in Bad Godesberg hat?
Rahn: Auf jeden Fall bis Ende 2017. Entscheidungen für die Zeit danach gibt es noch nicht.
Zur Person
Sascha Rahn, 35, ledig, arbeitet als Kommunikationsberater und lebt in Bonn. Rahn stammt aus dem Kreis Lippe, hat in Bonn und in Reykjavik Politische Wissenschaft studiert. Er ist Korvettenkapitän der Reserve und übt sein Amt als Vizepräsident ehrenamtlich aus.
Bis zu acht Millionen Reservisten
Reservist ist grundsätzlich jeder, der mindestens einen Tag in der Bundeswehr gedient hat, also fast acht Millionen Menschen. Davon unterliegen laut Reservistenverband rund 1,2 Millionen der sogenannten "Dienstleistungsüberwachung", könnten also zur Bewältigung von Krisen zum Wehrdienst eingezogen werden. Etwa 35 000 Reservisten sind in der Bundeswehr beordert, das heißt sie kehren temporär für Reservistendienstleistungen in den aktiven Dienst zurück, etwa als Ärzte, Logistiker oder Presseoffiziere. Von den Verbandsmitgliedern leben 15 000 in NRW, 718 gehören der Kreisgruppe Bonn/Rhein-Sieg an. In der Bundesgeschäftsstelle in Bad Godesberg sind 40 Mitarbeiter tätig, in Berlin sechs.