Die Rente Von Bismarck bis Nahles

Von der Kleinstrente für Arbeiter zum Lohnersatz für Millionen - die Rente in Deutschland hat 125 Jahre Geschichte mit harten Schlägen und regelmäßigen Aufschwüngen hinter sich. Heute dominieren Sorgen. Hier ein Überblick:

 Legte den Grundstein für die gesetzliche Alterssicherung: Reichskanzler Otto Bismarck, hier auf einer zeitgenössischen Darstellung.

Legte den Grundstein für die gesetzliche Alterssicherung: Reichskanzler Otto Bismarck, hier auf einer zeitgenössischen Darstellung.

Foto: dpa

Die Rentenversicherung wurde 1889 mit dem "Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Alterssicherung" ins Leben gerufen. Das war ein Meilenstein zur sozialen Sicherung der Arbeiter in einer Zeit, als die Industrialisierung im Deutschen Reich so richtig in Gang kam. Reichskanzler Otto von Bismarck wollte wohl mit der Einrichtung einer gesetzlichen Sozialversicherung die Arbeiterschaft mit dem Staat versöhnen und eine weitere Radikalisierung der Arbeiter verhindern. Schon die Idee war kühn, die Umsetzung umso mehr: Während in Deutschland noch der Kaiser regierte, bekam die Sozialversicherung von Anfang an eine Selbstverwaltung: Das heißt, die Versicherung wurde gemeinsam verwaltet von den Beitragszahlern, Arbeitern und Unternehmern. So funktioniert es bis heute.

Bescheidene Anfänge

Anfangs gab es nur eine Versicherung für Arbeiter und prekär verdienende Angestellte: Der Beitragssatz war gestaffelt, betrug im Schnitt zwei Prozent (heute 18,9 Prozent). Beiträge mussten wie heute von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu gleichen Teilen aufgebracht werden. Versicherte mussten bei den staatlichen Postämtern Marken im Wert ihrer eingezahlten wöchentlichen Rentenbeiträge erwerben und auf Quittungskarten aufkleben. Deswegen hatte sich der Begriff "Kleben" eingebürgert für das Einzahlen in die Rentenkasse. Es gab auch damals schon einen staatlichen Zuschuss, der am Anfang 50 Mark pro Jahr betrug. Mit Vollendung des 70. Lebensjahrs und nach mindestens 30 Beitragsjahren bestand Anspruch auf eine Altersrente. Die Rentenhöhe? Ein Arbeiter, der im Jahr zwischen 550 und 850 Mark verdiente, bekam eine Rente von 162 Mark - im Jahr!

Kriegsanleihen

In der Folge des Ersten Weltkriegs gingen den Versicherungsträgern große Teile des Versicherungsvermögens verloren: Die Landesversicherungsanstalt Schleswig-Holstein etwa hatte während des Krieges 32 Millionen Mark aus ihrem Anstaltsvermögen in Kriegsanleihen investiert und komplett verloren. Dennoch überstand die Rentenversicherung die Kriegszeit ohne Zusammenbruch.

Inflation

Zwischen 1918 und 1923 herrschte Inflation. Der höchste (Wochen-) Rentenbeitrag in der Angestelltenversicherung wurde im Dezember 1923 registriert: 1,16 Billionen Mark. Hört sich nach viel Geld an, damit hätte man sich seinerzeit aber nicht einmal ein Brot kaufen können. Die Hyperinflation vernichtete 90 Prozent des in Jahrzehnten angesammelten Kapitals, aus dem die Renten in der Zukunft bezahlt werden sollten. Für die Rentenansprüche von Millionen Versicherten bestand keine Deckung mehr. Das Rentensystem wurde erst mit Einführung des Umlageverfahrens stabilisiert. Dabei werden die Renten aus den laufenden Beiträgen finanziert und nur geringe Rücklagen gebildet.

Leistungsausweitung 1929

Kurz vor Ausbruch der Weltwirtschaftskrise mit dem Schwarzen Donnerstag am 24. Oktober 1929 war im März in Deutschland noch eine neue Leistung für Angestellte eingeführt worden: das Ruhegeld bei Arbeitslosigkeit. Angestellte konnten danach nach einem Jahr Arbeitslosigkeit mit 60 in Rente gehen. Die Regelung hatte zur Folge, dass die Zahl der Rentenbezieher stark stieg.

Führerprinzip der Nazis

Die Nationalsozialisten schafften unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 die Selbstverwaltung ab und führten das Führerprinzip ein. Zuvor hatten sie die freien Gewerkschaften zerschlagen, Regimegegner und Juden wurden aus der Selbstverwaltung entfernt und durch Parteigänger ersetzt. Entgegen der Propaganda profitierten die Rentner nicht vom neuen Regime. Im Dezember wurden zahlreiche Leistungskürzungen vorgenommen, die Neurenten wurden um sieben Prozent gesenkt.

Rentenkasse finanziert den Zweiten Weltkrieg

Nach 1933 gelang es den Nazis, Zugriff auf das Vermögen der Rentenkassen zu bekommen. Mit einer Verordnung sorgten sie 1938 dafür, dass die Hälfte des Versicherungsvermögens in Brief und Schuldbuchforderungen des Reiches angelegt werden musste. Das Geld floss in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und in die Kriegsvorbereitung. Mit dem Anzapfen des Vermögens der Rentenversicherung schufen sich die Nazis eine wichtige Geldquelle zur Finanzierung des von langer Hand geplanten Angriffskriegs auf die Nachbarn in Europa.

Propagandatricks

Als 1941 immer mehr Kritik an den Rentenkürzungen laut wurde, versuchten die Nazis die Gemüter zu besänftigen: Die Krankenversicherung der Rentner und eine Witwenrente wurden eingeführt. So wollten die Nazis den Durchhaltewillen im Krieg erhöhen. Aus Personalmangel wurde das Markensystem abgeschafft und durch das Lohnabzugsverfahren ersetzt.

Nazi-Ideologie

Die Nazis haben unter dem Dach der Sozialversicherung gnadenlos ihre Ideologie angewandt: Ab 1937 konnten Rentenleistungen entzogen werden, wenn Versicherte sich "staatsfeindlicher Betätigung" schuldig gemacht hatten. Regimegegner, Insassen von Konzentrationslagern und Juden bekamen keine Rente mehr. Juden, denen die Flucht ins Ausland geglückt war, verweigerte die Devisenstelle vielfach den Transfer des Ruhegeldes auf ein Auslandskonto. Zwangsarbeiter wurden pflichtversichert und mit höheren Beiträgen belegt, erwarben dafür aber keine Ansprüche. In den besetzten Gebieten etwa in Polen mussten die Menschen in die "Reichsversicherung" volle Beiträge einzahlen, bekamen aber nur Leistungen nach dem ortsüblichen Fürsorgesatz.

Stunde null

Aufgrund der Kriegswirren waren große Aktenbestände vernichtet. Bei vielen Versicherungsträgern war der Überblick über den Rentenbestand ganz oder teilweise verloren gegangen. Die finanzielle Lage war kritisch. Das wirtschaftliche Leben lag am Boden, die Zuschüsse des Reiches und die Zinseinnahmen aus Reichsanleihen entfielen. Dennoch gelang es irgendwie, ab Mitte 1945 wieder über die Postämter Renten auszuzahlen. In der Angestelltenversicherung reichten schon 1946 die Einnahmen wieder aus, um die Rentenzahlungen zu decken. In der sowjetisch besetzten Zone wurde eine Einheitsversicherung eingeführt. Im Westen nahmen die Landesversicherungsanstalten die Arbeit wieder auf. Als es nach der Währungsreform 1948 langsam wirtschaftlich wieder bergauf ging, waren allerdings die Rentner abgekoppelt. In den 50er Jahren lebten 4,5 Millionen Rentner in Not.

Neue Rentenformel 1957

1957 gab es die erste große Rentenreform seit dem Krieg: Die Erhöhungen richteten sich fortan nach der Entwicklung der Bruttolöhne. Die Rentenhöhe wurde nun nicht mehr nach den absoluten Beträgen früherer Löhne berechnet, sondern anhand der im Laufe der Jahre eingezahlten Beiträge. Die Renten stiegen deutlich, etwa Arbeiterrenten um 60 Prozent, Witwenrenten in der Angestelltenversicherung um 91 Prozent. Mit der ersten Rentenanpassung 1959 gab es noch einmal einen Zuschlag von 6,1 Prozent. Zur Finanzierung der höheren Leistungen wurde der Beitrag von 11 auf 14 Prozent erhöht. Das reine Umlageverfahren wurde eingeführt.

Arme Ostrentner

Als die Mauer fiel,war das Rentenniveau in Ost und West sehr unterschiedlich. Die Ostrenten waren niedrig. Am 1.7.1990 wurden sie angehoben und im Verhältnis eins zu eins auf D-Mark umgestellt. 1991 stiegen die Ostrenten noch zweimal um je 15 Prozent. Hier zeigte sich noch einmal die Stärke des umlagefinanzierten Systems. In einem kapitalgedeckten System wäre es undenkbar gewesen, von einem Tag auf den anderen die Zahlung von vier Millionen Renten zu stemmen.

Rente und Babyboomer

In den 80er Jahren war klar, dass die Alterung der Gesellschaft, der Pillenknick und die Generation der Babyboomer der Rentenkasse Probleme bereiten würde. 1985 setzte der Verband der Rentenversicherungsträger eine Kommission ein. Ein damals in Auftrag gegebenes Gutachten sorgte für Furore. Das Ergebnis: Wenn die Politik nichts ändere, stiegen die Beiträge enorm. Für 2015 wurde ein Beitragssatz von 27 bis 29 Prozent errechnet, für 2030 sogar 36 bis 42 Prozent. In der Folge sank das Rentenniveau, das Rentenalter stieg. Alles bis heute höchst umstritten. Nur: Der Beitrag ist mit derzeit 18,9 Prozent sensationell niedrig.

Nicht sexy, aber robust

Ende der 90er gab es Kritiker, die hielten die umlagefinanzierte Rente für ein Auslaufmodell. Liberale und Neoliberale forderten den Systemwechsel hin zu einer einheitlichen Grundrente für jedermann sowie kapitalgedeckten Vorsorgeprodukten. Spätestens seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, die nach der Pleite der US-Großbank Lehman Brothers auch die Finanzmärkte in die Knie gehen ließ, ist diese Kritik verstummt: Weil die eingezahlten Beiträge in unserem Rentensystem sofort für die Finanzierung der laufenden Renten verwendet und - anders als beim Kapitaldeckungsverfahren - nicht am Markt angelegt werden, konnte auch kein Kapital verloren gehen. Zwar verfügt die Rentenkasse über Rücklagen, momentan über 30 Milliarden Euro. Doch das Geld muss bei Banken angelegt werden, die der Einlagensicherung unterliegen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort