Interview mit Fridrich Merz "Scheitern ist keine Option"

BONN · Für Friedrich Merz ist das Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa ohne Alternative. Mit dem CDU-Wirtschafts- und Finanzexperten sprach Kai Pfundt.

 Besonders in Deutschland heftig umstritten: Immer wieder kommt es zu Demonstrationen gegen das geplante Freihandelsabkommen.

Besonders in Deutschland heftig umstritten: Immer wieder kommt es zu Demonstrationen gegen das geplante Freihandelsabkommen.

Foto: dpa

Nur noch 39 Prozent der Deutschen befürworten nach einer neuen Umfrage das geplante Freihandelsabkommen TTIP. Können Sie verstehen, warum die Deutschen so skeptisch sind?
Friedrich Merz: Die Skepsis ist ganz wesentlich das Ergebnis schlechter, unvollständiger und zum Teil falscher Informationen über den tatsächlichen Inhalt des Abkommens.

Haben die Befürworter zu wenig Werbung für das Abkommen gemacht?
Merz: Die EU-Kommission hat den Kritikern zu lange das Feld überlassen. Ihre eigenen, guten Argumente für das Abkommen hat sie zu Beginn der Verhandlungen nicht genannt. Und wahrscheinlich steckt in der Skepsis gegen TTIP auch eine allgemeine Skepsis gegenüber den USA, Vorbehalte, die mit dem Abkommen nur am Rande zu tun haben. Amerika hat im Umgang mit seinen Partnern in den vergangenen Jahren auch so manchen Fehler gemacht. Aber wir sollten trotzdem ganz nüchtern die Frage stellen, wo unsere europäischen und deutschen Interessen liegen - politisch und ökonomisch.

Und die Antwort?
Merz: Es macht für uns in jeder Hinsicht Sinn, ein solches Abkommen abzuschließen.

Bundeswirtschaftsminister Gabriel hat gesagt, die Deutschen seien "reich und hysterisch". Ist das der Grund für die breite TTIP-Ablehnung?
Merz: Die emotionale Mittellage ist ja noch nie eine deutsche Stärke gewesen. Wir sind entweder himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt, dazwischen gibt es nicht viel. Insofern kann ich die Einschätzung von Sigmar Gabriel nachvollziehen, auch wenn ich seine Wortwahl nicht teile.

Die TTIP-Kritiker monieren, dass mit dem Abkommen hohe europäische Standards etwa beim Verbraucherschutz, bei der Lebensmittelsicherheit in Gefahr sind. Wird das Chlorhühnchen nach Europa kommen?
Merz: Wir hören da dieselben Argumente wie vor 25 Jahren gegen den europäischen Binnenmarktes, und die waren damals so falsch wie sie es heute sind. Es geht nicht um eine Absenkung von Standards, sondern um eine allgemeine Aufwertung. Auch die USA haben Standards, beim Umweltschutz, bei der Lebensmittelsicherheit, bei der Produktsicherheit, und zwar zum Teil strengere als wir. Die Verhandlungspartner bemühen sich um gemeinsame hohe Standards, die sich mit dem Abkommen auch erreichen lassen.

Ein zentraler Streitpunkt ist der Investorenschutz. Ein anonymes Schiedsgericht ohne die Möglichkeit zur Überprüfung soll Streitfälle entscheiden, die einen Staat womöglich Milliarden kosten. Schwer vermittelbar, oder?
Merz: Hier wird viel durcheinander geworfen. Schiedsgerichte sind seit Jahrzehnten Standard bei internationalen Streitfällen, und sie haben sich bewährt. Die behaupteten Milliardenschäden für Staaten, die von Schiedsgerichten verurteilt worden sein sollen, gibt es nicht. In der Anti-TTIP-Kampagne werden Dinge behauptet, die einer Überprüfung einfach nicht standhalten.

Aber demokratisch legitimiert sind diese Gerichte nicht...
Merz: Ihre Besetzung erfolgt durch die demokratisch legitimierten Regierungen der beteiligten Staaten, die die Handelsverträge unterschrieben haben. Genauso werden innerstaatlich die Gerichte besetzt. Und die Schiedsgerichte haben einen großen Vorteil: Sie entscheiden schnell und kostengünstig.

Die TTIP-Gegner bemängeln, dass etwa Umweltgesetze nicht mehr geändert werden könnten, weil dann Konzerne Schadenersatz fordern würden.
Merz: Auch das ist nachweislich falsch. Natürlich dürfen Staaten ihre Gesetze und Vorschriften auch in Zukunft ändern und auch verschärfen. Sie dürfen nur eines nicht: Sie dürfen nicht ohne Entschädigung in die Eigentumsrechte von natürlichen Personen und Unternehmen eingreifen. Diese Staatshaftung gilt materiell mit und ohne Schiedsgerichte.

Wirtschaftsminister Gabriel schlägt die Einrichtung eines internationalen Handelsgerichtshofes vor. Wäre das eine mögliche Lösung des Problems?
Merz: Wir haben mit dem ISDS-Schiedsgericht in Washington und mit dem WTO-Schiedsgericht in Genf bereits zwei etablierte Schiedsgerichtshöfe. Natürlich wäre es denkbar, die bestehenden Institutionen weiterzuentwickeln oder zu ergänzen. Das sieht der Bundeswirtschaftsminister offenbar, und er will den Kritikern einen Schritt entgegenkommen.

Die TTIP-Verhandlungen finden weitgehend hinter verschlossenen Türen statt. Ist es nicht verständlich, dass viele Menschen misstrauisch sind?
Merz: Das stimmt nur zum Teil. Den jeweiligen Verhandlungsstand gibt die EU-Kommission den Nichtregierungsorganisationen und damit der Öffentlichkeit regelmäßig bekannt. Aber eines muss man auch verstehen: Bei den TTIP-Gesprächen verhandeln Staaten über einen internationalen Vertrag. Keine Seite kann dabei ihre Verhandlungsposition öffentlich diskutieren. Das würde ihre Position gegenüber dem künftigen Vertragspartner schwächen.

Das wird Kritiker, denen die öffentliche Beteiligung fehlt, nicht zufriedenstellen.
Merz: Das Verhandlungsergebnis wird natürlich breit diskutiert werden. Schließlich müssen das EU-Parlament und 28 nationale Parlamente dem Vertrag zustimmen. Nicht zuletzt deswegen liegt es ja auch im Interesse der Kommission, einen Entwurf vorzulegen, der öffentlich geäußerte Bedenken reflektiert und der der Kritik der nationalen Parlamente standhält.

Werden Korrekturen am Vertragsentwurf möglich sein?
Merz: Änderungen im parlamentarischen Ratifikationsprozess gibt es grundsätzlich nicht. Das würde auch den seit Jahrzehnten erprobten internationalen Gepflogenheiten widersprechen. Die EU-Kommission bemüht sich deshalb im Vorfeld, die Kritik aufzunehmen und in die Verhandlungen einzubringen. Aber am Ende steht ein ausverhandelter Vertrag. Die Parlamente müssen ihm dann zustimmen oder sie können ihn ablehnen.

Sie stehen in engem Kontakt mit der amerikanischen Seite. Wie ist denn dort die Haltung zu TTIP?
Merz: Die Grundstimmung zu diesem Vertrag ist in Amerika sehr positiv. Dabei sehen die Amerikaner die deutsche Seite in einer Führungsverantwortung bei den Verhandlungen, ich meine zu Recht. Deutschland wird ja einer der großen Nutznießer dieses Abkommens sein. Es gäbe aber in den USA ohne Zweifel eine große Enttäuschung, wenn sich die Europäer nicht in der Lage sähen, das Abkommen abzuschließen. Es geht für die USA und Europa schließlich auch um die Frage, ob wir miteinander politisch noch partnerfähig sind.

Hat die Bundesregierung sich genug für TTIP eingesetzt?
Merz: Wir sind wahrscheinlich alle überrascht gewesen, wie massiv und zum Teil polemisch die Diskussion besonders in der deutschen Öffentlichkeit geführt wurde. Aber da es im Moment noch keinen ausverhandelten Vertragstext gibt, ist es für die Befürworter nicht ganz einfach, den Kritikern mit guten Argumenten entgegenzutreten. Aber das wird sich im Laufe des Jahres ändern.

Inwiefern?
Merz: Es wird zum Beispiel deutlich werden, dass viele Gegenargumente ohne Substanz sind weil die Themen, die von den Kritiken genannt werden, gar nicht Gegenstand der Verhandlungen sind, der ganze Kulturbereich etwa. Wenn der Vertragstext vorliegt, wird die Kritik weitgehend in sich zusammenfallen.

Und wenn das Abkommen scheitert? Bliebe alles beim Alten?
Merz: Scheitern ist keine wirkliche Option. Ich konzentriere mich mit meinen bescheidenen Möglichkeiten darauf, mit Argumenten das Gelingen zu ermöglichen.

Es gibt keinen Plan B?
Merz: Amerika verhandelt nicht nur mit den Europäern. Es wird in absehbarer Zeit eine große Runde geben über eine asiatisch-pazifische Freihandelszone, unter Einschluss Chinas. Wir reden dabei über 2,8 Milliarden Menschen, ein Drittel der Weltbevölkerung. Wir müssen uns also die Frage stellen, wo in Zukunft die Standards der internationalen Wirtschaft gesetzt werden: Im transatlantischen Raum oder im US-pazifischen Raum.

Mit welchen Auswirkungen?
Merz: Über Nacht würden wir es nicht merken. Aber langfristig würden europäische Unternehmen von den internationalen Märkten verdrängt. Wenn wir Industrie 4.0 in Deutschland und Europa wirklich wollen, geht das nicht ohne offene Märkte und nicht ohne eine Handels- und Investitionspartnerschaft mit Amerika.

Weg vom Freihandel, hin zur Griechenland-Krise: Juckt es Sie als bekennenden Ordnungspolitiker bei dem Thema nicht in den Fingern?
Merz: Ich bin bei den Entscheidungen zur Einführung der Währungsunion im Europäischen Parlament und im Deutschen Bundestag dabei gewesen, auch bei der Abstimmung für den Griechenland-Beitritt. Ich frage mich heute, welchen Fehleinschätzungen wir damals eigentlich erlegen sind. Und ich frage mich, welche Konsequenzen wir heute daraus ziehen müssen.

Und die Antwort?
Merz: Finanzpolitisch wird das Problem nicht abschließend zu lösen sein. Ich meine, wir brauchen eine europäische Wachstumsagenda, eine Agenda für wettbewerbsfähige Industrie in Europa. Da ist übrigens Frankreich genauso gefordert wie Italien und viele andere. Auch wir müssen unsere Hausaufgaben machen, Deutschland lebt im Moment zu sehr von der Substanz.

Der Grexit, der Euro-Austritt Griechenlands, schien möglich. Wäre damit auch der Euro gescheitert?
Merz: Schwer zu sagen und kaum zu kalkulieren. Deshalb halte ich es für richtig, alles zu unternehmen, um dieses Szenario zu vermeiden.

Was trauen Sie der neuen griechischen Regierung bei der Krisenbewältigung zu?
Merz: Das Einzige, was mich bei der Athener Regierung optimistisch stimmt, ist die Tatsache, dass die Euro-Finanzminister mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble offensichtlich großen Einfluss auf ihr Verhalten haben.

Man hat den Eindruck, die CDU würde Sie mit offenen Armen empfangen, wenn sie sich entscheiden würden, wieder verstärkt politisch aktiv zu werden. Haben Sie keine Ambitionen?
Merz: Ich arbeite vier Fünftel meiner Arbeitszeit in meinem Beruf als Anwalt. Das macht mir sehr viel Freude. Den Rest der Zeit verbringe ich damit, mich in der Atlantik-Brücke für ein gutes deutsch-amerikanisches Verhältnis einzusetzen. In dieser Kombination fühle ich mich außerordentlich wohl.

Also keine Pläne für ein Politik-Comeback?
Merz: Ich beschäftige mich nur mit den Fragen, die heute beantwortet werden müssen.

Zur Person

Der 1955 im sauerländischen Brilon geborene Friedrich Merz ist einer der profiliertesten Wirtschafts- und Finanzpolitiker der Union. Merz, der in Bonn und Marburg Jura studierte, war von 2000 bis 2002 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Für Aufsehen sorgte 2003 sein Steuerkonzept, das mit drei Steuerstufen von 12, 24 und 36 Prozent deutlich geringere Steuersätze als das damals aktuelle Steuerrecht vorsah.

Jeder Bürger solle seine Einkommensteuer auf einem Bierdeckel ausrechnen können, sagte Merz. 2007 verzichtete er auf eine erneute Bundestagskandidatur, 2009 kündigte er öffentlich eine Politikpause an. Merz trat als Partner bei der internationalen Anwaltskanzlei Mayer Brown ein, seit 2009 ist er Vorsitzender des Netzwerks Atlantik-Brücke.

Erst 2014 gab Merz bekannt, dass er Mitglied der CDU-Parteikommission "Zusammenhalt stärken - Zukunft der Bürgergesellschaft gestalten" werde und somit seit fast zehn Jahren wieder ein politisches Amt in der CDU übernehme

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