Der Fall Netzpolitik.org Landesverrat oder Angriff auf die Pressefreiheit?

BERLIN · Der Mann traut sich was. Heiko Maas? Der auch, aber vor allem Harald Range. Am Vormittag, da ist Range noch Generalbundesanwalt, tritt der 67-Jährige vor die Kameras der Justizpressekonferenz in Karlsruhe.

 Unterstützer des Internetportals "Netzpolitik.org" demonstrieren in Berlin gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Landesverrats.

Unterstützer des Internetportals "Netzpolitik.org" demonstrieren in Berlin gegen die staatsanwaltlichen Ermittlungen wegen Landesverrats.

Foto: dpa

Range verschafft sich Luft, auch von dem Vorwurf, er habe vorschnell, sogar überzogen gegen Journalisten des Blogs "Netzpolitik.org" ermittelt. Range wählt die scharfe Klinge - gegen seinen Dienstherrn.

Auch wenn der Generalbundesanwalt den Bundesjustizminister in seiner kurzen Erklärung nicht namentlich erwähnt, so wissen doch alle, wer gemeint ist: Heiko Maas, Bundesminister der Justiz. Range beschreibt die Gesetzeslage: "Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Dieses Freiheitsrecht gilt aber nicht - auch nicht im Internet - schrankenlos." Dann der Satz, der die von Range zweifellos gewollte Lawine auslöst: "Auf Ermittlungen Einfluss zu nehmen, weil deren mögliches Ergebnis politisch nicht opportun erscheint, ist ein unerträglicher Eingriff in die Unabhängigkeit der Justiz."

Ein Generalbundesanwalt, an der Ehre gepackt und verletzt. Dass der ihm vorgesetzte Bundesminister der Justiz reagieren würde, ja musste, war von dieser Stunde an klar. Range musste nur warten. Auf das Ministerwort.

Telefonate mit dem Kanzleramt. Natürlich ist die Kanzlerin eingebunden in eine solche Entscheidung, auch wenn sie mit Ehemann Joachim Sauer in Südtirol urlaubt und mit der Bergsteigerlegende Reinhold Messner wandert. Eine Bundeskanzlerin ist immer erreichbar. Immer. Zu jeder Nachtstunde, auf jedem Berggipfel. Schon tags zuvor hatten Kanzleramt und Bundesinnenministerium ohne jeden Zweifel demonstriert und dies auch erklären lassen, wessen Rechtsauffassung sie für die richtige hielten: die von Maas. Wenn der Justizminister also den ranghöchsten Ankläger gegen Terroristen und Extremisten, gegen Spione und Landesverräter entlässt, ist Merkel auch im tiefsten Südtiroler Tal selbstverständlich informiert und eingeweiht.

Am Ende dauert es keine zwei Minuten. 18.17 Uhr, Auftritt von Justizminister Maas in Berlin. Der Rauswurf von Range ist nahe. Der SPD-Politiker stellt klar: Ranges Darstellung, wonach er, der Bundesjustizminister, ihm, dem Generalbundesanwalt, eine Weisung erteilt habe, ein Expertengutachten zu stoppen, ob es sich bei den von "Netzpolitik.org" veröffentlichten Dokumenten um Landesverrat handeln könnte, sei falsch.

Richtig sei, dass Range und er am Freitag der vergangenen Woche "gemeinsam" verabredet hätten, das Gutachten zurückzunehmen, so Maas. Sein Vertrauen in die Amtsführung des Generalbundesanwaltes sei mit dem Vorhalt Ranges einer politischen Einflussnahme auf die Unabhängigkeit der Justiz so "nachhaltig gestört", dass er dessen Versetzung in den Ruhestand beantragen werde. Noch gestern Abend ließ der Minister ein entsprechendes Gesuch an den Bundespräsidenten schicken.

Natürlich tritt SPD-Politiker Maas in einer solchen Situation nicht an die Öffentlichkeit, ohne einen Nachfolger für FDP-Mitglied Range präsentieren zu können. Der Anruf aus dem Ministerbüro galt einem Anschluss in München. Der dortige Generalstaatsanwalt Peter Frank soll künftig den Posten des Chefanklägers beim Bundesgerichtshof bekleiden. Frank wird seine Rechtsauffassung haben. Und er wird wissen, dass der ihm vorgesetzte Bundesjustizminister einen Angriff auf die freie Presse mit dem Vorwurf des Landesverrats nicht gutheißt, jedenfalls nicht in diesem Fall.

Maas ist in diesem Amt schon durch schweres Wetter gegangen. SPD-Chef Sigmar Gabriel drängte ihn, den lange erklärten Gegner der Vorratsdatenspeicherung, einen Gesetzentwurf just dafür vorzulegen. Maas lieferte - trotz größter Bauschmerzen. Jetzt hat Maas seine erste harte Personalentscheidung treffen müssen. Frank für Range. Maas hat gesprochen.

Der Generalbundesanwalt

Geht es um Terrorismus oder Spionage, kommt die Bundesanwaltschaft ins Spiel. Die Behörde mit ihren 200 Mitarbeitern verfolgt Straftaten gegen die innere und äußere Sicherheit. Ihr Leiter ist der Generalbundesanwalt, seinen Amtssitz hat er beim Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe.

Der "Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof" ist politischer Beamter. Der Bundespräsident ernennt ihn auf Vorschlag des Bundesjustizministers und nach Zustimmung des Bundesrates. Er untersteht der Dienstaufsicht des Ministers, der die politische Verantwortung trägt, und kann ohne nähere Begründung in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden.

Der Staatsrechtler Joachim Wieland hält denn auch Ranges Kritik am Vorgehen von Justizminister Heiko Maas (SPD) in der Netzpolitik-Affäre für nicht gerechtfertigt. "Anders als Richter unterliegt Range als Staatsanwalt nun mal Weisungen", sagte Wieland gestern. Nur Richter seien unabhängig, nicht aber Staatsanwälte.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort