Druck auf die Bundesregierung wächst Kanzleramt in Erklärungsnot

BERLIN · Rücktritt? Hans-Christian Ströbele, ein wahrlich gestandener Fahrensmann in der Disziplin parlamentarischer Untersuchungsausschüsse, hat dieser Tage doch tatsächlich gesagt, er wolle in der neuen BND-Affäre "kein Bauernopfer".

Ströbele, Grünen-Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) zur Kontrolle der Geheimdienste, sprach sich damit dagegen aus, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) könnte den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, womöglich von seinem Posten abberufen, um Entschlossenheit zu demonstrieren.

Schindler also nicht. Doch was ist mit Thomas de Maizière, heutiger Bundesinnenminister und von 2005 bis 2009 Chef des Kanzleramts? De Maizière, wegen der jüngsten Querelen um das Standardgewehr G36 der Bundeswehr aus seiner Zeit als Verteidigungsminister ohnehin unter verschärfter Beobachtung, wäre weit mehr als ein Bauernopfer für Merkel. G36, Absturz der geplanten Aufklärungsdrohne "Euro Hawk" und nun auch die nächste Etappe in der BND/NSA-Affäre.

Zumindest für die Vorsitzende der Jungsozialisten, Johanna Uekermann, ist der Fall klar: "Thomas de Maizière hat als Kanzleramtschef Spionage und Ausspähung durch fremde Geheimdienste gedeckt oder gar befördert", sagte Uekermann der "Welt am Sonntag". Ihr Befund: De Maizière sei für die Spähdienste des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur freundlichen Unterstützung des US-Geheimdienstes NSA mitverantwortlich und als heutiger Bundesinnenminister "nicht einen Tag länger tragbar".

Tatsächlich sucht die Bundesregierung einen Weg aus der Defensive in jener Affäre, in der der deutsche Auslandsgeheimdienst BND der "National Security Agency" geholfen haben soll, über Jahre europäische Firmen, Institutionen und Politiker auszuspähen. Schon in dieser Woche könnte Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) in einer Aktuellen Stunde des Bundestages, die die Grünen beantragen wollen, das Wort ergreifen. Es wäre ein Versuch von Vorneverteidigung, zumal sich Innenminister de Maizière selbst bereit erklärt hatte, den zuständigen Gremien des Bundestages, darunter das PKGr und der NSA-Untersuchungsausschuss, Rede und Antwort zu stehen, wenn er denn geladen würde.

Überhaupt könnte die neue Woche einen Großauflauf der parlamentarischen Ermittler und Überwacher bringen. Altmaier könnte neben der großen Bühne Bundestag auch hinter verschlossener Tür des Raumes U1 215 des Jakob-Kaiser-Hauses versuchen, vor Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums mehr Licht ins Dunkel dieser Affäre zu bringen, deren Ausmaß noch nicht absehbar ist. Auch BND-Präsident Schindler könnte sehr kurzfristig auf dem Zeugenstuhl des NSA-Untersuchungsausschusses Platz nehmen müssen.

Selbst Generalbundesanwalt Harald Range wird in dieser Woche im Bundestag erwartet. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Renate Künast (Grüne), kündigte gestern an, Range zu laden. Der Generalbundesanwalt soll die jüngste Geheimdienstaffäre strafrechtlich einordnen und konkrete Beweise erheben. "Das eilt, bevor der BND Beweise vernichtet", so Künast. Nach Angaben eines Sprechers der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe prüft die Behörde, ob der Anfangsverdacht für eine Straftat vorliege, die in die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts falle.

Derweil versuchen die parlamentarischen Ermittler im NSA-Untersuchungsausschuss den Druck auf die Regierung hoch zu halten. Bis zur nächsten Ausschusssitzung an diesem Donnerstag müsse die Bundesregierung dem Ausschuss US-Spionagelisten vorlegen. Darauf sollen Ziele in Europa stehen, die die NSA über Jahre mit Hilfe des BND ausgespäht hat. Grünen-Obmann Konstantin von Notz: "Frau Merkel muss jetzt zeigen, ob sie aufklären oder vertuschen will."

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