Affäre Edathy Die eine und die andere Wahrheit

Berlin · Es war ein heikler Auftritt. Und die SPD-Spitze dürfte gut zugehört haben: In Berlin schildert der gestrauchelte Abgeordnete seine Sicht.

 Großer Auftritt: Sebastian Edathy schildert vor der Bundespressekonferenz seine Sicht auf die Kinderpornografie-Affäre.

Großer Auftritt: Sebastian Edathy schildert vor der Bundespressekonferenz seine Sicht auf die Kinderpornografie-Affäre.

Foto: ap

Ein großer Auftritt. Sein letzter. Sebastian Edathy nimmt seine Armbanduhr vom Handgelenk. Zeit abgelaufen. Er zieht eine bittere Bilanz. Aus seiner Sicht: Die Karriere kaputt, die Existenz in Frage gestellt, der Ruf ruiniert, die öffentliche Vorverurteilung allgegenwärtig. Er sagt Sätze wie: "Den Politiker Edathy gibt es nicht mehr." Oder: "Ich führe ein Leben im Ausnahmezustand."

Vermutlich führen auch zahlreiche der Knaben und männlichen Jugendlichen, die von Kunden wie Edathy auf Filmen eines kanadischen Versandhändlers bestaunt worden sind (und noch werden), ein Leben im Ausnahmezustand. Doch dazu will sich der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Edathy, der sein Mandat im Februar dieses Jahres, wie er zunächst erklärte, "aus gesundheitlichen Gründen" zurückgab, nicht äußern.

Ob jemand heterosexuell sei, oder homosexuell oder pädophil gehe niemanden etwas an, sagt Edathy. Das ist in diesem Fall starker Tobak. Er blafft den Fragesteller an: "Vielleicht sind Sie ja pädophil?!"

Edathy kommt ohne Begleitung in den fast bis auf den letzten Platz besetzten Saal der Bundespressekonferenz. Gut zwei Stunden später im Untersuchungsausschuss wird Edathy, 45 Jahre alt, von Beruf Soziologe, seinen Anwalt Christian Noll mit an seiner Seite haben. Die Causa Edathy wirft an diesem Tag viele Fragen auf: alte und neue.

Der Mann auf Wahrheitsreise in eigener Sache spricht viel. Nur zu einem Punkt will sich Edathy auch nach mehreren Frageversuchen erkennbar nicht einlassen: Warum er die Filme bestellt hat und was darauf zu sehen war? Er sagt nicht, er sei pädophil. Er sagt: "Ob ich pädophil bin oder nicht - es geht Sie nichts an, was ich bin." Wenn es nur so einfach wäre...

Ein wenig Reue, okay, das schon, aber nicht zu viel: "Es war falsch, diese Filme zu bestellen. Aber es war legal." Die Rechnung kommt später: das Ende einer politischen Karriere. "Ich habe einen hohen Preis gezahlt für das, was ich gemacht habe."

Doch Edathy tischt an diesem Tag einige Geschichten auf, die, wenn sie auch nur im Ansatz stimmen, Ermittlungsverfahren gegen weitere Personen nach sich ziehen könnten. Dabei im Zentrum der von Edathy erzählten Version: der damalige und erst vor kurzem in den Ruhestand verabschiedete BKA-Präsident Jörg Ziercke und auch Michael Hartmann, Edathys einstiger Fraktionskollege.

Hartmann soll Edathy am Rande des SPD-Bundesparteitages im November 2013 zur Seite genommen und gefragt haben: "Bist Du bereit für eine schlechte Nachricht? Es ging um mögliche Ermittlungen gegen Edathy.

Ausgerechnet der BKA-Präsident soll nach Darstellung Edathys den SPD-Abgeordneten Hartmann mehrmals über den Stand der Kinderpornoverdachts-Ermittlungen gegen Edathy unterrichtet haben. Dies versichert Edathy auch in einer eidesstattlichen Versicherung, die er am Donnerstag dem Untersuchungsausschuss vorgelegt hat.

Angeblich habe Ziercke so gehandelt, auch, um Schaden von der SPD abwenden zu wollen, so jedenfalls soll es Hartmann wiederum Edathy erzählt haben. Sagt Edathy. Man muss wissen: Ziercke ist SPD-Mann. Man muss aber auch wissen: Ziercke verkörpert Staatsraison durch und durch.

Zur Erinnerung: Dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann, gewissermaßen Vorgesetzter der Abgeordneten Hartmann und Edathy, hatte Ziercke telefonisch die Auskunft zu möglichen laufenden Ermittlungen gegen Edathy verweigert. Dass sich ein Profi wie Ziercke wegen eines einzelnen, wenn auch ambitionierten SPD-Abgeordneten womöglich zum Verrat von Dienstgeheimnissen hinreißen ließe, wäre bis zum Beweis des Gegenteils gegen jede Lebenserfahrung naiv.

Vermutlich wird es für einige Szenen dieser Affäre eine Pattsituation geben: Aussage gegen Aussage. Manches wird sich einfach nicht belegen lassen. Und Edathy, der als Abgeordneter in fünf Untersuchungsausschüssen mitgearbeitet hat, weiß das einzuschätzen. So soll Oppermann, als Edathy im Dezember 2013 bei einem Zählappell in der SPD-Fraktion zur bevorstehenden Kanzlerinwahl fehlte, die Ermittlungen gegen Edathy aber der SPD-Spitze schon bekannt gewesen seien, Hartmann gefragt haben: "Falls sich Sebastian umbringt, wie positionieren wir uns gegenüber den Medien?" Edathy kann Oppermann so zum eiskalten Fraktionsmanager stilisieren.

Edathy und die Glaubwürdigkeit. Ein eigenes Kapitel. Über seinen Geistes- und Gemütszustand ist auch in den Tagen vor seinem Auftritt im Untersuchungsausschuss in Berlin viel geredet worden. SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht hatte schon Tag zuvor nach Lektüre eines "Stern"-Artikels über Edathy erklärt: "Was Sebastian Edathy jetzt vorträgt, erscheint mir zufolge nicht glaubwürdig." Dazu muss man wissen. Edathy hat auch dem Magazin "Stern" eine eidesstattliche Versicherung für seine Version der Wahrheit abgeliefert. Ob er für die Story auch ein Honorar erhalten habe? Edathy geheimnisvoll: "Vertraulich."

Jedenfalls erzählt der einstige SPD-Abgeordnete in der Bundespressekonferenz, dass das Landgericht Verden, das im Februar ein Verfahren wegen des Besitzes von Kinderpornografie gegen ihn eröffnet, ihm doch tatsächlich ein Angebot unterbreitet habe: Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Geldauflage von nur 6000 Euro.

Im Untersuchungsausschuss muss Edathy auf Nachfragen dann einräumen, dass es doch anders war. Nicht das Gericht, sondern sein Anwalt sei initiativ geworden und habe das Gespräch mit dem Gericht gesucht, worauf der Richter einen Vorschlag vorgelegt habe. Das sieht dann schon etwas anders aus. Edathy ist dann Anwalt in eigener Sache: "Ich habe nichts mehr zu verlieren. Und deswegen habe ich auch objektiv keinen Grund, nicht die Wahrheit zu sagen." Es ist seine Wahrheit.

Zitate Edathys

Zu seinem Aufenthaltsort:

"Ich hab es aus Sicherheitsgründen vorgezogen, mich überwiegend im Ausland aufzuhalten. Und wo sich die Privatperson Sebastian Edathy privat aufhält (...), das ist die Sache meines Privatlebens und meines persönlichen Umfelds. Das geht Sie - sorry, mit Verlaub - einen feuchten Kehricht an."

"Ich habe meine Sicherheit in Deutschland in den letzten Monaten nicht gewährleistet gesehen."

Zu seinen aktuellen Lebensumständen:

"Das ist heute mein letzter großer Auftritt hier in Berlin. Den Politiker Edathy gibt es nicht mehr."

Zur Kinderporno-Affäre:

"Ich weiß, ich habe viele Menschen enttäuscht."

"Es war sicherlich falsch, diese Filme zu bestellen, das will ich gerne einräumen. Aber es war legal."

Zu seinen Äußerungen auf Facebook:

"Nehmen Sie nicht alles ernst, was ich bei Facebook poste."

Zur Frage, ob er vor Ermittlungen gewarnt wurde:

"Ich bin nicht informiert worden, habe auch nicht gesprochen mit der Spitze meiner Partei - ich bin ja noch Mitglied - und auch nicht mit der Spitze meiner damaligen Bundestagsfraktion."

"Was ich aber sagen kann ist, dass... Thomas Oppermann ab einem bestimmten Zeitpunkt vor Öffentlichwerden der ganzen Diskussion sehr wohl wusste, dass Michael Hartmann im Bild war."

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