Nach der Sachsen-Wahl Die FDP in der Existenzkrise

Berlin · Die FDP hat angesichts der wirtschaftlich heiklen Lage ein Umsteuern versäumt. Aber das ist nicht die ganze Geschichte ihres grandiosen Scheiterns. Der Liberalismus fand in Deutschland nie wirklich Asyl. Ein Essay zur Lage der Liberalen im Spätsommer 2014.

In Hannover scheint die Sonne. 15. Mai 2009, der liberale Frühling der Erwartung. Draußen tragen die Bäume Knospen, und drinnen reifen die liberalen Blütenträume. Die FDP hält ihren Bundesparteitag ab. Im Saal vibriert die Erwartung. Dieses halbe Jahr wird auch noch vorbeigehen. Was ist schon ein halbes Jahr gegen elf der Opposition? Und dann wartet verheißungsvoll und gestaltbar - die Macht.

Guido Westerwelle weiß, was er den Seinen schuldig ist. "Wir wollen regieren", das ist der Refrain seines erwartungsprallen Vortrags. Der Zeitgeist ist sein bester Freund. "In den letzten zwei Jahren hatten wir zehn Wahlen zu bestehen", ruft er in Erinnerung. "Bei allen Wahlen haben wir zugelegt." Von Haltung und Idealen spricht er viel, von der "Mutter aller Reformen" und meint - natürlich - die Steuersenkung. Beim Nachlesen seiner damaligen Rede ist das Pathos, mit dem er seinen Auftritt beschließt, nur noch unfreiwillig komisch. "Kein Ministerposten kann so wichtig sein, dass wir unsere Prinzipien und unsere Wähler verraten." Und dann allen Ernstes: "Unser Wort gilt."

Vielleicht muss man diesen Bundesparteitag als Folie hernehmen, um die ganze Trostlosigkeit des sächsischen Wahlabends zu ermessen, als ein trotzig-tapferer Christian Lindner am vergangenen Sonntag im Thomas-Dehler-Haus unter pflichtschuldigem Beifall weniger Claqueure davon spricht, dass die FDP eine Wahl verloren habe, aber nicht ihre Überzeugungen. Die FDP liegt in Trümmern. In den Ruinen flackert kaum noch Licht. Der Absturz ist beispiellos. 64 Jahre war die FDP im Bundestag. 46 hat sie regiert. Nun ist sie draußen, und Sachsen macht klar: Niemand kennt den Weg zurück. Man kann tief schürfen, um dieses beispiellose Desaster zu erklären. Man kann es sich ganz einfach machen. Und die naheliegende Erklärung ist sicher nicht weiter weg von der Wahrheit. Die Wähler, 2009 waren es dann sagenhafte 14,6 Prozent, sind bodenlos enttäuscht. All die Versprechungen, die geweckten Erwartungen: Steuersenkungen, Bürokratieabbau, der Freiheit eine Gasse. Geplatzte Sprechblasen. Das Steuergeschenk für die Hoteliers klebte den Liberalen von Anfang an wie Kaugummi unter den Schuhsohlen, an denen noch immer die 18-Prozent-Gravur zu sehen war. Steuersenkungen - ein Traum, Bürokratie-Abbau - eine Schimäre.

Westerwelles Schuld? Ja, sicher. Der Zeitgeist war dann doch ein falscher Freund. Er war zu spät dran. Für 2005 war die Hochzeit bestellt, doch dann musste der Bräutigam noch vier lange Jahre warten. In diesen vier Jahren ging die Union durch die Weltfinanzkrise und schleifte an der harten Regierungswirklichkeit ihre Programmatik glatt. In der Zeit, da in der Politik reihenweise alt eingeübte Überzeugungen plötzlich nur noch historischen Wert hatten, als die Volksparteien erlebten, wie alte Rezepte aus dem Instrumentenkasten der eigenen Ideologie nichts mehr taugten, als Regieren angesichts noch nie dagewesener Probleme nur noch nach der Versuch-und-Irrtum-Methode möglich war - da dümpelte der FDP-Dampfer in der oppositionellen Windstille. Keine Kollision mit der Wirklichkeit nötigte zum Anpassen an die neue Zeit. So war die neue Regierung ab 2009 eine seltsam ungleichzeitige Paarung. Plötzlich wirkte das siegestrunkene liberale Gepoltere nicht nur halbstark, sondern auch gestrig.

Selbst die Wählerschaft der FDP hätte angesichts der wirtschaftlich heiklen Lage ein Umsteuern akzeptiert. Haushaltskonsolidierung war längst die neue Priorität. Auch das ein ur-liberales Anliegen. Aber Westerwelle wollte ein Wort halten, auf dessen Einlösung niemand mehr setzte.

Das ist schon die ganze Geschichte. Und - wie schön - sie hat den Schuldigen einwandfrei ermittelt. Wenn es so einfach wäre. Westerwelle hat Wunderbares geleistet. Man muss von diesem 15. Mai 2009 nicht nur nach vorn, sondern auch nach hinten blicken. Als er seine Partei auf die Regierungsübernahme einschwor, hatte er mit der FDP schon viel erlebt. Nicht nur elf Jahre ohne Regierungsverantwortung, sondern auch Jahre als Generalsekretär in der Spätzeit Helmut Kohls. Eine Leidenszeit. Denn die FDP hatte nach ihrem Wechsel zur Union 1982 viel an intellektueller Strahlkraft verloren. Sicher, da war Hans-Dietrich Genscher. Aber eben auch die Bangemanns, Möllemanns, Hausmanns. Und am Ende war da nur noch eines: das elende Funktionsargument. Wer Helmut Kohl will, muss FDP wählen. Darauf lief es in der Schlussphase des Ewigkanzlers hinaus.

Für einen ehrgeizigen und talentierten jungen Mann wie Westerwelle war das eine Erniedrigung. Nie wieder wolle er eine solche Demütigung - das hatte er seiner Partei als Vorsitzender von Anfang an gesagt. Bezeichnend, dass 2013 genau dieses Argument in der Merkel-Variante wieder niederschmetternde Urständ feierte. Nein, Westerwelle wollte die FDP als selbstbewusste eigenständige Kraft, als Repräsentantin einer Idee - der Idee des politischen Liberalismus, der gleichberechtigt neben den politikleitenden Idealen wie soziale Gerechtigkeit (SPD), Nachhaltigkeit (Grüne) oder Sicherheit (Union) stehen konnte.

Eigenständigkeit - das ist der Kern allen Glücks und allen Übels für die FDP. Westerwelle fahndete nach dem - seine Wortschöpfung - Alleinstellungsmerkmal, und fand die Steuersenkung, die niemand so kompromisslos und gegen alle Machbarkeit vertrat.

Das kann man verurteilen. Aber es steckt in diesem Kurs doch auch ein Stolz, den man, nun ja, heroisch finden kann. Denn er macht einsam. Westerwelle wollte ehrliche Wahlergebnisse. Aus inhaltlicher Überzeugung sollte die FDP gewählt werden. Die Sache hat nur einen Haken. Der Liberalismus fand in Deutschland nie wirklich Asyl. Freiheit ist in Deutschland keine Verheißung. Alleine aus eigener Kraft seines Glückes Schmied zu sein ist in den USA ein Traum, hierzulande ist es ein Alptraum. Freiheit ist Freiheit von etwas - negativ. Kalt. Einsam. Umweht vom Anhauch des Nichts.

So empfinden es viele. Die Liberalen waren seit dem Kaiserreich immer Solitäre und keine politischen Kraftzentren. Nehmen wir an, die Bundestagswahl hätte der FDP nicht das Aus, sondern sechs Prozent gebracht. Dann wäre das keine Katastrophe gewesen - sondern der historische Normalzustand. Deutschland ist anders, von der Rente bis zur Gesundheit sind es die kollektiven Lösungen, die den Bürgern Geborgenheit geben.

Da wirken Krisen-Erfahrungen nach: Erster Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise 1929, Zweiter Weltkrieg, Enteignungen durch die Kommunisten. Und dann kommt eine Lehman-Pleite daher und eine Eurokrise, und die Kanzlerin und ihr Finanzminister müssen erklären, dass alle Spareinlagen sicher sind. Da kommen alle Verlustängste, die Furcht vor sozialem Abstieg wieder hoch. Und haben nicht der Markt und das freie Spiel der Kräfte grotesk versagt? Der Liberalismus hätte einer neuen Rechtfertigung bedurft, er hätte erklärt werden müssen. Dazu fehlte dann am Ende einer erschöpften FDP die Kraft.

Nein, dann lieber große Koalition. Am Kamin der Kanzlerin schmilzt der Eishauch der Globalisierung, und es wird einem behaglich. Behaglichkeit ist das letzte, was die FDP zu bieten hat.

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