Vorschläge werden wissenschaftlich ausgewertet Bürger erzählen Merkel von ihren Sorgen

BERLIN · Thiersheim hat kein Feuerwehrauto. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kann das im Moment nur zur Kenntnis nehmen, hat das Problem vor ihrem geistigen Auge aber notiert. Die Bundeskanzlerin ist an diesem Nachmittag angetreten, die Sorgen von Menschen in Deutschland besser zu hören, als es von ihrem Schreibtisch in der Regierungszentrale möglich ist.

60 repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger sind in der Kulturbrauerei in Prenzlauer Berg in Berlin um die deutsche Regierungschefin platziert. Merkel sagt: "Ich möchte wissen, was Ihnen wichtig ist und was Sie beschwert."

"Gut leben in Deutschland" hat die schwarz-rote Bundesregierung ihren Bürgerdialog überschrieben, bei dem bis Oktober in insgesamt 150 Veranstaltungen quer durch die Republik gesammelt werden soll, wo die Menschen im Lande Veränderung wollen und wie sie sich ihre Zukunft wünschen. Merkel und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) haben alle Ministerinnen und Minister des Kabinetts verpflichtet, raus zu den Menschen zu gehen und sich deren Nöte und Sorgen anzuhören. Am Ende sollen die Nöte, Ängste, Ideen und Vorschläge des Volkes wissenschaftlich ausgewertet und später in einen Aktionsplan der Bundesregierung aufgenommen werden. Im oberfränkischen Thiersheim, 2000-Einwohner-Gemeinde im Fichtelgebirge, ist es das fehlende Feuerwehrauto. Dort sammeln Bürger von ihrem Ersparten für ein neues Löschfahrzeug, wie Sabrina Härtl erzählt.

Mitte April haben Merkel und Gabriel diesen Bürgerdialog offiziell gestartet, damals noch ohne Bürgerfragen. Jetzt startet Merkel persönlich die zweite Phase dieser gesteuerten Volksbefragung. Die Kanzlerin nimmt nachher mit: "Gesundheit und Sicherheit im Alter, das ist ein Riesenthema." So findet ein Rentner das System der Altersversorgung ungerecht. Er habe fünf Kinder großgezogen und bekomme trotzdem keinen Cent mehr Rente als jemand, der keine Kinder habe.

Merkel steht vor der Frage: "Wie bin ich gerecht?" Sie versucht einem weiteren Ruheständler, Rainer Wagner, 72 Jahre alt und aus der Nähe von Mönchengladbach, beizubringen, dass es ein "Riesenaufwand" wäre, "so ein System umzustellen". Wagner plädiert für die Einheitsrente. Ein anderer fordert: "Alle sollen einzahlen, auch Kapitalerträge." Merkel spürt zur Rente: "Das is'n Thema, das sehe ich schon."

Katja Fegebaum aus dem Raum Osnabrück wünscht sich von der Politik "mehr Mut zur Veränderung". Niemand brauche eine private Krankenversicherung oder 500 gesetzliche. Die Frau warnt vor dem Begriff Gerechtigkeit. Merkel: "Der Staat kann versuchen, Chancen gerecht zu verteilen." Ob es klappt? Ergebnis offen. "Gerechtigkeit ist nicht Gleichheit", sagt Merkel. Dann fährt sie zurück ins Kanzleramt. Dialog unterbrochen. Es muss weiter regiert werden.

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