Interview: Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, "Aussitzen hat seine Grenzen"

Seit 2013 ist Anton Hofreiter Co-Fraktionschef der Grünen im Bundestag und damit einer der wichtigsten parlamentarischen Gegenspieler der großen Koalition.

 Offen für ein schwarz-grünes Bündnis: der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter.

Offen für ein schwarz-grünes Bündnis: der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Anton Hofreiter.

Foto: Nicolas Ottersbach

Die Parteien müssen langsam an den Bundestagswahlkampf 2017 denken. Wo sind eigentlich die spezifisch grünen Themen, mit denen Ihre Partei in die Auseinandersetzung ziehen kann?

Anton Hofreiter: Wir wollen zuerst einmal unsere Kernthemen stärken: ökologischer Umbau der Wirtschaft, Energiewende, grüner Verkehr. Landwirtschaft im Einklang mit der Natur und gute Ernährung sind zunehmend wichtige Themen für viele Menschen. Und wir setzen auf eine moderne Zeit- oder Familienpolitik: Wie können wir die Situation der Menschen zwischen 25 und 45 verbessern, die Beruf und Familie unter einen Hut bringen müssen....

Ein klassisches SPD-Thema...

Hofreiter: Überhaupt nicht. Grüne haben den Feminismus vor Jahrzehnten neu auf die Tagesordnung gebracht. Die SPD fragt sich bei dem Thema nur, wie der fürsorgende Staat für den Menschen sorgen kann.

Und die Grünen?

Hofreiter: Wir wollen Freiräume schaffen, damit Menschen möglichst selbstbestimmt über ihr Leben entscheiden, aber auch zufriedener und gesünder leben können. Ein weiterer Punkt, auf den wir setzen, sind die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter. Wie kann es sein, dass der Schutz der Privatsphäre, für den Menschen lange gekämpft haben, im digitalen Zeitalter überhaupt nichts mehr zählt?

In Bremen haben die Grünen am stärksten von allen Parteien verloren, in den Umfragen dümpeln sie im Bund um die zehn Prozent. Eine Wechselstimmung zu Gunsten der Grünen ist nicht zu erkennen.

Hofreiter: Wir sind in neun Bundesländern in der Regierung vertreten, deutlich mehr als die CDU. So schlecht läuft es also nicht.

In den Umfragen auf Bundesebene stagnieren die Grünen.

Hofreiter: Das beste Wahlergebnis der Grünen auf Bundesebene lag bei 10,7 Prozent. Da haben wir uns wieder stabilisiert. Entscheidend ist am Ende aber nicht das gute Umfrageergebnis, sondern das gute Wahlergebnis.

In Zeiten der großen Koalition haben es die kleinen Parteien schwer, Gehör zu finden. Die Grünen haben es auch noch mit den Linken zu tun, die mit radikalen Sprüchen viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ein doppeltes Handicap?

Hofreiter: Es ist natürlich immer einfach, hohle Sprüche zu klopfen. Da macht es sich die Linke oft sehr leicht. Wir Grüne achten darauf, dass unsere Ideen auch wirklich umsetzbar sind. Wir wollen unsere Gesellschaft real gerechter, selbstbestimmter und nachhaltiger machen.

Stehlen die Linken den Grünen die Show?

Hofreiter: Nichts ist schlimmer als eine schlechte Show. Und was die Linke in der Außenpolitik abliefert, ist eine Horrorshow. Seit der Bundestagswahl geht es fast ausschließlich um Außenpolitik: Ukraine, Syrien, Griechenland. Die Innenpolitik geht da oft unter. In so einer Situation hat es eine Opposition natürlich schwerer. Aber warten Sie ab: Wenn die Wahlen näher kommen, wird auch die Innenpolitik wieder eine größere Rolle spielen. Wir lassen die Union mit ihrem Geheimdienstskandal nicht so leicht davonkommen.

Wie stehen die Grünen generell zur Linkspartei?

Hofreiter: Kommt darauf an, von welcher Linkspartei man spricht. Es gibt ja mindestens zwei: den radikalen Flügel, der sich einer konstruktiven Arbeit verweigert und nicht regieren will. Und es gibt einen Flügel, der durchaus gestalten will, der aber leider keine Mehrheit hat.

Käme ein Bündnis mit der Linken dann überhaupt in Frage?

Hofreiter: Ich gebe das nicht auf, wir wollen weiter dran arbeiten. Aber eine solche Koalition müssen ja nicht nur die linken Realos um Gregor Gysi und Dietmar Bartsch wollen, sondern die gesamte Linke mittragen. Die müssen sich überlegen, ob sie in diesem Land wirklich was für die Menschen und für ihre Wähler verändern, oder ob sie in linker Fundi-Opposition verharren und der Union auf ewig die Macht lassen wollen. Da bin ich derzeit skeptisch. Aber ich hoffe, auch im Sinne unserer Demokratie, dass die Linke das klärt.

Die Opposition scheint von den Affären der Regierung bislang nicht zu profitieren. Warum bleiben an Kanzlerin Merkel weder in der BND-Affäre noch in der Affäre um das Gewehr G36 Vorwürfe hängen?

Hofreiter: Abwarten! Wenn im Kanzleramt wirklich die Unwahrheit gesagt wurde, dann werden die Menschen das nicht tolerieren. Die Methode der Kanzlerin ist, Politik zu entpolitisieren. Alle ihre Aussagen folgen dem Muster: Kümmert euch nicht um Politik, sondern lasst mich nur machen. Das ist in meinen Augen in einer Demokratie unverantwortlich.

Aber für die Kanzlerin funktioniert das offenbar gut...

Hofreiter: Aussitzen hat seine Grenzen. Das hat schon Helmut Kohl erfahren müssen. Nach allem, was wir aus dem internen Email-Verkehr im Kanzleramt zum No-Spy-Abkommen wissen, ist es undenkbar, dass Merkel in der BND-Affäre nicht Bescheid wusste. Damit hat sie bewusst die Unwahrheit gesagt.

Jetzt wollen Sie die Kanzlerin in den NSA-Untersuchungsausschuss zitieren. Denken Sie, sie dort zu einer Aussage zwingen zu können?

Hofreiter: Versuchen müssen wir es. Für viele Bürger ist die BND-Affäre zu abstrakt, sie fragen sich: Was geht mich das an? Aber sobald wir nachweisen können, dass die NSA mit Hilfe des BND zum Beispiel bei Siemens oder einem deutschen Mittelständler Industriespionage betrieben hat, sieht die Sache anders aus.

Bleibt die Union trotz der Kritik an der Kanzlerin ein potenzieller Partner für die Grünen?

Hofreiter: Bei den Kernthemen muss die Union sich bewegen: ökologischer Umbau der Wirtschaft, Klimaschutz, Agrarwende, Bürgerrechte, Flüchtlingsrechte. Da reicht Symbolpolitik nicht aus. Wir schließen weder ein rot-rot-grünes Bündnis noch ein schwarz-grünes Bündnis aus. Am Ende entscheiden die Schnittpunkte im Programm.

Also die SPD ist nicht mehr der gottgegebene Bündnispartner?

Hofreiter: Natürlich ist die SPD, wenn man sich die Programme anschaut, unser Wunsch-Partner. Aber die Mehrheit fehlt, und von einem rot-grünen Projekt wie anno '98 kann man heute nicht mehr sprechen, das sehen wir ganz nüchtern. Und schließlich kann die SPD auch eine ganz schön strukturkonservative Partei sein.

Apropos: Was fällt Ihnen zu folgenden Stichworten ein? Individualverkehr?

Hofreiter: Muss sich stark weiterentwickeln. Benzinschleudern sind out, Elektrofahrrad und Elektroauto sind in.

Braunkohle?

Hofreiter: Schadet dem Klima und zerstört unsere Lebensgrundlagen. Eine Technologie aus dem vorletzten Jahrhundert.

Bahnstreik?

Hofreiter: Kann nerven. Aber die Menschen haben ein Recht auf Streik und auf vernünftige Bezahlung.

Veggie-Day?

Hofreiter: War nicht die geschickteste Idee.

Freihandel?

Hofreiter: Braucht ökologische und soziale Regeln.

Was müsste denn geschehen, damit die Grünen dem TTIP-Freihandelsabkommen mit den USA zustimmen?

Hofreiter: Wir haben nichts gegen gesenkte Zölle oder gemeinsame technische Standards etwa in der Autoindustrie. Was nicht geht, ist eine Senkung des Verbraucherschutzes und der Lebensmittelstandards. Ganz besonders kritisieren wir aber die Schiedsgerichte, die demokratische Entscheidungen beschränken können.

Falls die Grünen in die Regierung kämen: Welches Amt würden Sie sich wünschen?

Hofreiter: Politik ist kein Wunschkonzert. Ich konzentriere mich jetzt erstmal auf meine Arbeit als Fraktionsvorsitzender. Da will ich im Herbst wiedergewählt werden.

Was muss geschehen, dass Sie Ihr persönliches Markenzeichen, die langen Haare, abschneiden?

Hofreiter: Jedenfalls mehr, als ich mir vorstellen kann.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort