Landtagswahlen Auf der Suche nach den Wählern der AfD

BERLIN · Zweistellig! Und nicht irgendwie zweistellig. In Brandenburg ist die AfD nun mehr als doppelt so stark wie die Grünen, und in Thüringen sieht das so ähnlich aus. Das kann die Union nicht mehr ignorieren. Obwohl sie es tapfer versucht.

Michael Grosse-Brömer, der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, muss zuerst vor den Kameras eine Sprachregelung vorgeben.

Also lobt er ausufernd die Zuwächse der Union in beiden Ländern. Aber zur neuen Gretchenfrage, wie es die Union mit der AfD halte, sagt er nichts. Er will die Debatte in eine andere Richtung drehen. Weg von der Union. Das geht so: Die Linken verlieren in Brandenburg, die AfD gewinnt. Ob der Zuwachs der Protestpartei nicht der Linkspartei zu verdanken sei, will Grosse-Brömer wissen.

Tatsächlich weisen die Wahlforscher später nach, dass 22 Prozent der brandenburgischen AfD-Wähler von den Linken kamen. Nur 14 Prozent von der Union, zwölf von der SPD. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt dann auch kategorisch: "Der Fingerzeig auf die Union ist falsch." Grosse-Brömers Frage ist also berechtigt.

Alexander Gauland, AfD-Spitzenkandidat in Brandenburg, hatte Linkswähler in einem herzlichen Brief umworben, sogar von einer "möglichen punktuellen Zusammenarbeit" gesprochen. Aber nicht nur. Eine falsch gesteuerte Zuwanderung, Kriminalität - auch das andere Spektrum bekam sein Angebot. Daraus das Argument zu schmieden, die AfD sei als konservativ-bürgerliche Kraft ein natürlicher neuer Partner der Union ist schwierig. Die CDU-Spitze tut das auch nicht. Generalsekretär Peter Tauber hatte die AfD im Wahlkampf als "rückwärtsgewandt" angegriffen, bestehend "aus alten Männern, die um ihren materiellen Wohlstand zittern".

Irgendwann nach der Sachsenwahl vor zwei Wochen musste es der Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel aber doch gedämmert haben, dass ihre Strategie der strikten Nichtbeachtung der neuen Konkurrenz nicht mehr funktioniert. Sie trieb die Union in Brandenburg und Thüringen nun ausdrücklich an, die Themen der AfD aufzunehmen und anzusprechen. Die Wähler sorgten sich "zum Teil um Kriminalität, zum Teil um steigende Asylbewerberzahlen". Und diese Themen müsse die Union "nicht nur ansprechen, sondern auch einer Lösung zuführen". Gauland hat das gestern nicht ohne triumphierenden Unterton aufgegriffen. "Das ist genau, was wir an der Union kritisieren: Sie greift die Probleme erst auf, nachdem wir sie benannt haben."

Eine Abkehr vom Abgrenzungskurs in Bündnisfragen sind Merkels Appelle aber sicher nicht. Der AfD ist das im Wahlkampf übrigens ganz recht gewesen. So konnte sie als eigenständige Kraft auftreten und ein breites Protestpotenzial aufnehmen. AfD-Chef Bernd Lucke spielt dieses Thema am Wahlabend gern weiter. Die politische Konkurrenz - das sind für ihn pauschal "die Altparteien", manchmal auch in der Version "die profillosen Altparteien".

Der Vorsitzende gibt sich entspannt. "Konstruktiven Gesprächen" mit der Union werde sich die AfD nicht verweigern. Aber: "Wir laufen niemandem hinterher." Man fühlt sich stark. Irgendwann, so denkt man bei der AfD, muss die Union einfach reagieren. "Eine neue Epoche in der Parteiengeschichte der Bundesrepublik Deutschland", ruft am Abend phonstark der thüringische Spitzenkandidat Björn Höcke aus. Zu hoch gegriffen? Von "Anfangserfolgen" spricht CDU-Generalsekretär Tauber am späteren Abend abwertend. Aber dann sagt er doch noch einen vieldeutigen Satz: "Die Zukunft wird weisen, ob das alles nur heiße Luft ist."

Die SPD hat andere Sorgen: Parteichef Sigmar Gabriel hatte vor den Landtagswahlen die Losung ausgegeben, die SPD müsse so stark werden, "dass gegen sie nicht regiert werden kann". Gabriel könnte sich nun zurücklehnen: Ziel erreicht. In Brandenburg haben die Sozialdemokraten ihre Vormachtstellung behauptet. Seit 1990 stellt die SPD den Ministerpräsidenten. Und auch für die nächsten fünf Jahre wird Dietmar Woidke, der erst vor einem Jahr den Posten des Regierungschefs vom gesundheitlich angeschlagenen Vorgänger Matthias Platzeck übernahm, das Land regieren. Im Willy-Brandt-Haus in Berlin könnte der Chef zufrieden sein.

Wäre da nicht der Wahlausgang in Thüringen - auch aus Sicht der Bundes-SPD ein Tiefschlag. Die Wahllokale sind gerade eine halbe Stunde geschlossen, da nimmt Gabriel schon das Wort "Neuanfang" in den Mund. Nach einem solchen Ergebnis, einer "bitteren Wahlniederlage", könne man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern müsse nun beraten, "wie ein Neuanfang gelingen kann". Wenn Wähler etwas nicht mögen und auch nicht wertschätzen, dann parteiinternen Streit und Unentschlossenheit. "Verlässlichkeit und Einigkeit einer Partei werden belohnt, und das Gegenteil wird bestraft", gibt der SPD-Chef den Genossen in Thüringen mit auf den Weg. Gut ein Drittel ihrer Stimmen haben die Sozialdemokraten dort verloren. Und trotzdem: Ohne die SPD kann in Thüringen nicht regiert werden, siehe Gabriels Wahlziel.

Der Fraktionsvize der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, will die SPD nach Brandenburger Vorbild auch in Thüringen in eine Koalition mit seiner Partei locken. "Wenn die SPD mit uns regiert, wird sie bestätigt. Wenn sie mit der CDU regiert, verliert sie saftig." Und auch Linke-Parteichefin Katja Kipping sieht Chancen, die SPD in Thüringen für eine Koalition zu gewinnen. Ein "weiter so" sei "nicht hilfreich" für Thüringen. Und: "Die CDU hat nicht automatisch einen Daueranspruch auf die Staatskanzlei", gibt sich Kipping kämpferisch. Sie leitet aus dem Wahlausgang in Thüringen einen Anspruch ab. "Wir haben ein so gutes Ergebnis erzielt - das ist ein klarer Regierungsauftrag für uns, wenn es denn Mehrheiten gibt."

Die Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter ist froh, dass es den Grünen nach Sachsen nun auch in Thüringen und Brandenburg wieder gelungen ist, erneut in die Landtage einzuziehen. Damit sind die Grünen in allen 16 Landesparlamenten vertreten. Ratschläge für eine mögliche rot-rot-grüne Landesregierung in Erfurt will Peter gleichwohl nicht geben. Ziel eins sei erreicht: Wiedereinzug in den Landtag. Ziel zwei sei möglich: Ablösung der schwarz-roten Landesregierung mit Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Aber wie man "klare grüne Themen, klare grüne Inhalte dann umsetzen kann", müsse man sehen. Ergebnis: offen.

Freie Wähler im Landtag

Die Freien Wähler ziehen in den brandenburgischen Landtag ein, obwohl sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen konnten. Christoph Schulze erzielte im Wahlkreis Teltow-Fläming III mit 27 Prozent die meisten Erststimmen - von 1990 bis 2009 hatte er für die SPD das Direktmandat gewonnen. Laut Landeswahlgesetz erhält die Bürgerbewegung BVB/Freie Wähler entsprechend ihres Anteils an den Zweitstimmen insgesamt zwei Sitze. Für die anderen Fraktionen gibt es einen Ausgleich.

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