Letzte Chance oder Untergang AfD vor Schicksalsparteitag

BERLIN · Für die zwei Jahre alte AfD wird dieser Parteitag heute in Essen zum Schicksalsparteitag. Am Ende wird man wissen, ob die Truppe, die als Eurokritiker anfing, nun aber schon länger nicht mehr mit irgendwelchen Inhalten wahrgenommen wird, sondern nur noch mit persönlichen Intrigen, in der Bedeutungslosigkeit verschwindet wie die Piraten oder doch noch eine Chance zur dauerhaften Einnistung hat.

 In Feindschaft verbunden: Frauke Petry, Bernd Lucke.

In Feindschaft verbunden: Frauke Petry, Bernd Lucke.

Foto: DPA

Nach Querelen und Unregelmäßigkeiten bei der Aufstellung der Delegierten war ein für Juni vorgesehenes Treffen abgesagt worden. Nun findet ein Mitgliederparteitag statt. Mit 4400 hat sich etwa ein Fünftel aller 21 000 Mitglieder angemeldet. Parteigründer Bernd Lucke glaubt, dass der Mitgliederparteitag für ihn ein Vorteil ist. Er will das Rennen machen und Frauke Petry, die ihm in Feindschaft verbundene Chefin des sächsischen Landesverbandes, bei den Vorstandswahlen übertrumpfen. Lucke setzt auf Sieg: Er hat angekündigt, nicht unter Petrys Vorsitz weiterzumachen. Bei ihr sind die Dinge nicht so klar: Sie hat sich mal so, mal anders geäußert .

Es stehen bei diesem Partei-Treffen ohnehin nur Wahlen an. Es wird ein Hauen und Stechen nicht nur um den Vorsitz geben: Die Partei ist gespalten in zwei Lager. Parteigründer Lucke führt das eine Lager. Seine Mitstreiter sind Bernd Kölmel, der Chef der baden-württembergischen AfD, Ulrike Trebesius aus Schleswig-Holstein, der Tübinger Ökonom Joachim Starbatty sowie der ehemalige Wirtschaftslobbyist Hans-Olaf Henkel.

Das andere Lager wird von Petry geleitet, die politisch noch etwas mehr in der konservativen Ecke zu verorten ist als der Hamburger Professor Lucke. Unüberbrückbar sind die inhaltlichen Differenzen zwischen den beiden nicht. Dafür aber die zwischenmenschlichen umso mehr. Hinter Petry versammeln sich alle, die Lucke nicht mögen und verhindern wollen: Zum Beispiel der schillernde Noch-NRW-Chef Marcus Pretzell, der Ärger mit dem Finanzamt hat, die Ex-Publizisten Alexander Gauland und Konrad Adam, aber auch Björn Höcke aus Thüringen, der mit seinen Parolen klar auf NPD-Wähler zielt, und andere aus der so genannten Patriotischen Plattform.

Die Kräfteverhältnisse zwischen den Lagern sind schwer abzuschätzen. Die Leute, die Lucke nahe stehen, sagen, jedes Lager bringe etwa ein Drittel der Mitglieder hinter sich, das andere Drittel sei unentschieden. Das zeigt: Es könnte eng für Lucke werden.

Unterdessen hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa eine Umfrage unter den Anhängern durchgeführt und eine Nähe zu rechtsradikalem Gedankengut ermittelt. Demnach sehen deutlich mehr AfD-Anhänger (72 Prozent) als die Bundesbürger insgesamt (43 Prozent) in der als zu hoch empfundenen Zahl der Ausländer, dem Zustrom von Flüchtlingen und der Einwanderungspolitik das größte Problem in Deutschland.

Um die Nähe der AfD-Anhänger zu rechtsradikalem Gedankengut zu ermitteln, wurden den Befragten Aussagen vorgelegt, denen sie voll und ganz, weitgehend oder eher nicht zustimmen konnten. Danach kann etwa knapp die Hälfte der AfD-Sympathisanten selbst dem Nationalsozialismus noch positive Aspekte abgewinnen: 47 Prozent stimmten voll und ganz oder weitgehend zu, dass der Nationalsozialismus damals in erster Linie die Interessen der Deutschen vertreten habe.

Und 57 Prozent meinen, dass die deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg eher Opfer als Täter gewesen seien. 75 Prozent der AfD-Anhänger halten Asylbewerber generell für Sozialschmarotzer, 76 Prozent glauben an den Gesinnungsterror linkslastiger Medien, und 67 Prozent finden, dass Menschen, die nicht arbeiten wollen, zur Arbeit gezwungen werden sollten. Forsa-Chef Manfred Güllner: "Insgesamt kann bei den hohen Zustimmungsraten zu den einzelnen Aussagen eine hohe Affinität der AfD-Anhänger zu rechtsradikalem Gedankengut angenommen werden."

Derweil hat die AfD in dieser für sie heiklen Sache auch einen empfindlichen juristischen Rückschlag hinnehmen müssen. Sie wollte sich nicht nachsagen lassen, dass sie eine rechtsradikale Partei sei. Im Mai hatte sie deshalb beim Landgericht Frankfurt "der äußersten Dringlichkeit wegen" eine einstweilige Verfügung gegen Güllner und Forsa beantragt. Nun hat sie diesen Antrag mit einem zweizeiligen Schreiben vom 5. Juni zurückgenommen.

Für Güllner-Anwalt Till Dunckel ist die Sache damit klar: "Ganz offenbar ist das Gericht der Auffassung, dass man die AfD sehr wohl als rechtsradikal bezeichnen kann und hat ihr das auch angezeigt."

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