Flammende Rede Matteo Renzi begeistert die EU-Parlamentarier

STRASSBURG · Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi hat den Vorsitz in der Europäischen Union übernommen und hält eine flammende Antrittsrede.

 Römischer Wirbelwind im Europaparlament: Ministerpräsident Matteo Renzi am Mittwochnachmittag.

Römischer Wirbelwind im Europaparlament: Ministerpräsident Matteo Renzi am Mittwochnachmittag.

Foto: dpa

Zu den oft genug ermüdenden Ritualen europäischer Politik gehört dieser Termin: eine Rede des Staats- oder Regierungschefs, der für sechs Monate den EU-Vorsitz übernimmt und deshalb vor dem Europäischen Parlament spricht.

Am Mittwoch stand dieses Ereignis wieder auf der Tagesordnung. Nur dieses Mal war es ein neues Gesicht: Matteo Renzi, 39 Jahre alt, sozialdemokratischer Ministerpräsident Italiens. Ein Mann, der seinen Vorgänger aus den eigenen Reihen im Herbst 2013 wegputschte, weil der ihm zu langsam war.

Nun steht Renzi in Straßburg von den Abgeordneten, die die 28 Mitgliedstaaten repräsentieren. "Wenn Europa ein Selfie machen würde, was würden wir sehen?", fragt er provozierend-lächelnd. "Es wäre ein müdes Gesicht, eine gelangweilte Miene, mit einer Geste, als ob man schon aufgegeben hat."

20 Minuten Redezeit räumt die Geschäftsordnung des Europäischen Parlamentes Matteo Renzi ein. Es sind 20 Minuten, an deren Ende selbst erfahrene Abgeordnete sagen: "Das war der leidenschaftlichste Appell für Europa, den ich erlebt habe." Der Römer spricht nicht von Schulden, er berührt die Krise nur am Rande.

Aber er fordert fast schon wütend dazu auf, dass "wir Europäer unsere Werte zum Ausdruck bringen, wenn in Nigeria Hunderte Mädchen verschleppt werden, nur weil sie westlich erzogen wurden". Er nennt die junge Christin im Sudan, die für ihren Glauben mit der Todesstrafe bedroht war, beim Namen und fordert die EU auf, sich angesichts "solcher Entwicklungen endlich zu Wort zu melden".

Hier steht eine "neue Generation", ruft Renzi aus. "Wir müssen Stellung beziehen, gegen Dinge in dieser Welt, die nicht in Ordnung sind, die unseren Werten widersprechen."

Fast im Vorbeigehen streift er die großen Themen, die Europa derzeit beschäftigen. Eine EU ohne Großbritannien nennt der Premier "schlichtweg undenkbar". Er fordert "Hilfe für mein Land, das darunter leidet, die längsten Grenzen Richtung Afrika zu haben".

Den Solidaritätspakt will er nicht verändern. "Aber er heißt eben auch Wachstumspakt - und das müssen wir wieder ins Bewusstsein rufen." Von der EU fordert er eine Reform der Institutionen, um dann selbstkritisch hinzuzufügen: "Ich weiß, wovon wir reden. An Bürokratie übertreffen wir Italiener Sie bestimmt.

Deshalb wissen wir auch, was man verändern muss." Renzi fegt wie ein Wirbelsturm über dieses Parlament und hinterlässt eine fast sprachlose Runde, die nach 20 Minuten einfach nur beeindruckt ist, weil ihnen da gerade "jemand gezeigt hat, wie es klingt, wenn man aus vollem Herzen für diese Gemeinschaft eintritt".

Dabei ist die Freude über diesen italienischen Regierungschef nicht ungeteilt. Renzi gilt als Befürworter größerer Spielräume beim Abbau der Schuldenberge - das ist ganz nach dem Geschmack der Sozialdemokraten und Grünen im Straßburger Plenum.

Christdemokraten und Liberale allerdings wollen in den Gesprächen mit dem nächsten Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker festschreiben, dass die strenge Haushaltsführung nicht angetastet wird. "Wir werden sehr deutlich fordern, dass es bei den strengen Spielregeln der Etatkontrolle bleibt", sagte der CSU-Europa-Abgeordnete Markus Ferber, der künftig als erster Stellvertreter im mächtigen Wirtschafts- und Währungsausschuss eine Schlüsselrolle spielen dürfte, am Mittwoch gegenüber dem GA.

Und auch der Bonner Liberale Alexander Graf Lambsdorff machte am Mittwoch deutlich: "Die Beibehaltung der Stabilitätsregeln ist für uns ein Kernthema. Das muss Juncker zusagen, wenn er unsere Zustimmung haben will." Juncker wird das tun. Und man darf gespannt sein, wie die ersten Begegnungen verlaufen - zwischen dem neu gewählten Kommissionschef und dem aktuellen Wirbelwind und Rastvorsitzenden Matteo Renzi. Dessen gestriger Auftritt war wohl nur ein Auftakt.

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