Welternährung Zwei Milliarden Menschen sind unter- oder mangelernährt

DELHI/KIGALI · Apathisch starrt Sri seine Mutter Munni an. Würde sie ihn nicht halten, würden dem Zweijährigen die Beine unter dem aufgeblähten Bauch zusammenklappen.

 Stelzenläufer Vijay (5) und seine Freunde in einem Dorf im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh gehören zur Ethnie der Korku, die besonders oft von Mangelernährung betroffen ist. Viele bleiben dadurch ihr Leben lang klein.

Stelzenläufer Vijay (5) und seine Freunde in einem Dorf im indischen Bundesstaat Madhya Pradesh gehören zur Ethnie der Korku, die besonders oft von Mangelernährung betroffen ist. Viele bleiben dadurch ihr Leben lang klein.

Foto: Heidemann

Sri ist eines von ungezählten Kindern, die unter Mangelernährung leiden. Weltweit sind rund zwei Milliarden Menschen betroffen. Jedes Jahr sterben mehrere Millionen an den direkten und indirekten Folgen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht davon aus, dass verborgener Hunger hinter jedem zweiten Todesfall bei Unterfünfjährigen steht.

Reis, Hirse, Linsen, Fladenbrot: das ist alles, was Sri isst. Nur selten kann seine Mutter sich ein paar halbvergammelte Mangos leisten. "Sri ist immer müde und schwach. Er ist oft krank. Ich weiß, dass es daran liegt, dass ich ihm nicht das richtige Essen gebe. Aber ich habe nichts anderes", sagt die verzweifelte Mutter von zwei Kindern.

Eigentlich wäre sie schon vierfache Mutter, doch Sris Bruder starb vor, seine Schwester wenige Tage nach der Geburt. Jetzt hat die Frau aus dem Bundesstaat Madhya Pradesh sich sterilisieren lassen. Zwar hätte sie gerne ein weiteres Kind bekommen, doch den Gedanken, noch ein Baby zu verlieren, konnte sie nicht ertragen.

"Nachdem Kinder gestorben waren, hat die Regierung den Müttern verboten, laut zu weinen. Man sollte sie nicht hören. Das Problem sollte totgeschwiegen werden", sagt Prakash Michael. Vor zwölf Jahren gründete er mit seiner Frau Seema die Hilfsorganisation Spandan. Spandan berät Munni und weitere Angehörige der diskriminierten Volksgruppe der Korku unter anderem beim Aufbau einer Landwirtschaft, die die Familien nicht nur satt macht, sondern sie auch mit Vitaminen versorgt. Nach Angaben von Spandan sind bis zu zwölf Prozent der Korku-Kinder unter fünf Jahren so schwer unterernährt, dass sie in Lebensgefahr schweben.

Nandini gehört zu diesen zwölf Prozent. In einem Gesundheitszentrum versucht ihre Mutter Bhagwati Manoj, ihr kalorienreiche Spezialnahrung einzuflößen. Mit 16 Monaten wiegt sie gerade einmal 6560 Gramm. "Im Ausland denken die Leute, Indien sei eine aufstrebende Atommacht, in der alle Menschen ständig neue Software entwickelten. Stattdessen leiden in diesem Land Millionen an Mangel- und Unterernährung. Aber das verschweigen die Politiker gerne", sagt Michael Prakash.

Mittlerweile hat die indische Regierung anerkannt, dass es in Indien Hunger gibt. Im vergangenen Jahr verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Ernährungssicherung. Demnach haben zwei Drittel der indischen Bevölkerung - 820 Millionen Menschen - Anspruch auf subventioniertes Getreide. Noch ist das Gesetz kaum umgesetzt, aber es besteht die Hoffnung, dass es helfen kann, Hunger zu stillen. Das Problem der Mangelernährung wird es wohl kaum lösen.

Doch nicht nur in Indien leiden Menschen unter verborgenem Hunger. Millionen erblinden aus Mangel an Vitamin A, vor allem Schwangere und stillende Mütter leiden unter Blutarmut. Mangelernährte Kinder sind anfällig für Krankheiten, in ihrer intellektuellen Entwicklung gehemmt und bleiben klein.

Besonders betroffen ist Afrika. In Ruanda kämpft die von "Brot für die Welt" unterstützte Organisation Ugama mit Bildung, Obst und Gemüse gegen Mangelernährung. "Früher haben wir nur Cassava gegessen. Das hat zwar satt gemacht. Aber wir Mütter hatten oft nicht genug Milch für unsere Babys. Die Kinder blieben klein, waren ständig krank und konnten sich in der Schule nicht konzentrieren. Manche sind gestorben", erinnert sich Silvie Mukakahizi. Die 44-jährige Bäuerin lebt mit ihrem Mann und ihren sechs Kindern in einem Bergdorf im Süden Ruandas.

Doch es ist lange her, dass hier das letzte Mal um ein Kind geweint wurde. Und das liegt unter anderem an Bananen, Ananas, Avocados, Mangos, Erbsen, Auberginen, Zwiebeln, Papaya, Spinat, Paprika und Möhren. All das baut Silvie Mukakahizi auf ihrem Feld an. Was sie und ihre Familie nicht selbst essen, verkauft sie auf dem Markt. Vom Gewinn kann sie die Krankenkasse für ihre Familie zahlen. "Aber die brauche ich eigentlich gar nicht. Seitdem wir uns gesund ernähren, müssen wir nicht mehr zum Arzt", sagt die stolze Bäuerin.

Ugama hat ihr geholfen, mit neuen Anbaumethoden mehr aus ihrer kleinen Farm rauszuholen. "Der Genozid 1994 wurde unter anderem mit Mangel an Lebensraum gerechtfertig. Wir müssen deshalb den Ertrag unser Felder steigern", sagt Ugama-Geschäftsführer Ndahimana Jean Damascene. Genmanipulierte Saaten sollen dabei allerdings nicht zum Einsatz kommen. "Wir trauen den Konzernen nicht. Wir wollen uns nicht in ihre Abhängigkeit begeben. Wir glauben, dass die bestehenden Risiken größer als die versprochenen Nutzen sind", sagt Damascene.

Ruanda gehört zu den Ländern, die seit 1990 die größten Fortschritte bei der Bekämpfung des Hungers gemacht haben. Doch noch immer sind laut Welthungerindex knapp 30 Prozent der Bevölkerung des ostafrikanischen Landes unterernährt. Die zweijährige Naome ist eine von ihnen. Sie schaut ihrer Mutter Aloysie Mukamwiza dabei zu, wie sie aus einem Klumpen Lehm einen Topf formt. Für 300 ruandische Franc, umgerechnet rund 35 Cent, wird die Pygmäin ihn später verkaufen.

Das ist auch in Ruanda verdammt wenig Geld. Es reicht gerade mal, um ein bisschen Cassava zu kaufen. Für Obst, Gemüse oder gar Fleisch reicht es nie. "Das Baby in meinem Bauch bräuchte jetzt besseres Essen. Aber ich habe nichts", sagt die alleinerziehende Mutter, die im fünften Monat schwanger ist. Wenn die 26-Jährige ihr drittes Kind zur Welt bringen wird, wird es wahrscheinlich wieder untergewichtig sein. So wie Naome damals. Und heute.

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