Eine Gedenkstätte für Martin Luther King "Weiße machen hier die Kohle"

MEMPHIS · Vor 47 Jahren machte James Earl Ray mit einem einzigen Schuss auf dem Balkon vor Zimmer 306 des Lorraine Motels in Memphis Weltgeschichte. Dem ermordeten Bürgerrechtler Dr. Martin Luther King ist am Tatort ein über 100 Millionen Dollar teures Museum gewidmet.

 Jacqueline Smith war die letzte Bewohnerin des Lorraine Motels in Memphis. FOTO: HAUTKAPP

Jacqueline Smith war die letzte Bewohnerin des Lorraine Motels in Memphis. FOTO: HAUTKAPP

Vor 27 Jahren hat eine zierliche schwarze Frau gegen die Heldenverehrung einen beispiellosen Protest gestartet. "Und ich bin noch lange nicht fertig", sagt Jacqueline Smith kurz vor dem Gedenktag am 4. April. Smith ist in der geschichtsträchtigen Stadt im US-Bundesstaat Tennessee aufgewachsen. Sie war im Januar 1988 die letzte Bewohnerin im Lorraine. Dann setzte man sie gewaltsam vor die Tür. Memphis?

Stadtväter witterten das große Geld mit dem Tourismus, als sie in das schäbige Arbeiterviertel zwischen Mulberry-, Butler- und South Main Street das "National Civil Rights Museum" pflanzten. Was für das Lorraine, in dem früher Jazz-Giganten wie Duke Ellington und Cab Calloway nach ihren Auftritten in den Clubs an der Beale Street schliefen, die Abrissbirne bedeutete.

"Ein Sündenfall, den Martin Luther King nie zugelassen hätte", sagt Jacqueline Smith voller Entrüstung im Gespräch mit dieser Zeitung, "das Geld hätte er für den Kampf gegen die Armut genutzt." Seit der Eröffnung lebt Smith den Traum des großen Streiters für Fairness und Mitmenschlichkeit weiter. Auf ihre Art. Als zivil ungehorsame Dauerdemonstrantin harrt sie jeden Tag und zu jeder Jahreszeit in Sichtweite des Museums an einem improvisierten Stand mit verbeultem Sonnenschirm und Sofasessel aus und hält die Protestfahne hoch: "Boykottiert das Menschenrechtsmuseum!"

Smith, die an diesem kalten Morgen Ende März eine dunkle Brille gegen das gleißende Sonnenlicht trägt, zeigt auf die teils erkennbar für wohlhabende Kreative aufgehübschte, teils gottverlassene Umgebung, in der früher viele Schwarze lebten. "Heute kann sich hier niemand mehr die Mieten leisten. Und kein Restaurant weit und breit ist hier, von dem Schwarze profitieren würden." Was stimmt, wie später der Aushilfskellner in "Rizzos?s Diner" an der Ecke bestätigt. "Weiße machen hier die Kohle."

Touristen, die zum 50. Jahrestag des Bürgerrechts-Dramas in "Selma" und nach dem gleichnamigen Hollywood-Film in Scharen auch in Memphis einfallen, reagieren verstört, wenn Smith sie freundlich anspricht und auf die "unveränderte Notlage von Afroamerikanern in diesem Land" hinweist. In Memphis ist der Anteil der Schwarzen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, überdurchschnittlich hoch. Bei der Mordrate sieht es nicht anders aus. Themen, die wenige Meter weiter in der Gedenkstätte nicht vorkommen. Wer an den originalgetreuen Autos vorbeigeht, die am Abend des Mordes vor Kings Hotelzimmer geparkt waren, in Richtung Kassenschalter, auf den wartet eine teure Musealisierung des Grauens.

Im originalgetreu hergerichteten Zimmer 306 samt rostroter Bettdecke, Bibel auf dem Nachttischchen und überquellenden Aschenbechern soll, so die Hausleitung, "ein hautnahes Gefühl für die Gewalt vermittelt werden, die diese dunkle Ära der amerikanischen Geschichte markierte". Damit dürfte das Gebäude gegenüber gemeint sein. Im Badezimmer von James Earl Ray kann der Besucher per Lasersimulation nachvollziehen, welche Flugkurve das Projektil genommen hat, das unterhalb von Kings Kinn einschlug. Für Jacqueline Smith ein "makabrer Fall von Disneylandisierung einer Tragödie, die auch Waffennarren anlockt".

Was das Stadtmarketing nicht gerne hört. Aber das Recht auf freie Rede hat Museum und Museumsgegnerin längst in eine seltsame Symbiose bugsiert. "Früher gab es Sabotage und Repressalien, heute lässt man mich in Ruhe", sagt die Endfünfzigerin und blättert durch einen dicken Ordner mit Dankesschreiben. Promis wie U2-Sänger Bono und Ex-Präsident Jimmy Carter haben sich schon mit ihr ablichten lassen. Das schützt vor behördlicher Übergriffigkeit. Aufhören mit ihrem eisernen Dagegensein will Jacqueline Smith aber erst dann, wenn an der Stätte des Erinnern zu spüren ist, was Martin Luther King unmittelbar vor seiner Ermordung gesagt hat: "Ich werde keine feinen und luxuriösen Dinge hinterlassen - aber ein engagiertes Leben."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Das plant Putin nach der Wahl
Nach Präsidentschaftswahl Das plant Putin nach der Wahl
Zum Thema
Aus dem Ressort