Interview mit Hans Eichel "Warum hat man in Brüssel nichts unternommen?"

BRÜSSEL · GA-Interview mit Ex-Finanzminister Hans Eichel über Veränderungen des Euro-Pakts, Frankreichs Krise und das Programm der EU-Kommission

 "Verstärkte Haushaltskoordinierung und -kontrolle": Hans Eichel als Minister 2004.

"Verstärkte Haushaltskoordinierung und -kontrolle": Hans Eichel als Minister 2004.

Foto: dpa

Frankreich wird beim EU-Gipfel ab morgen in Brüssel um Verständnis für seine Etatprobleme werben. Doch viele warnen vor einer Aufweichung des Sparkurses und verweisen auf die deutsch-französischen Eingriffe in den Euro-Pakt Mitte des letzten Jahrzehnts. Hans Eichel (SPD) war damals Bundesfinanzminister. Mit ihm sprach unser Brüsseler Korrespondent Detlef Drewes.

Angesichts des französischen Defizits werden in Brüssel immer wieder Parallelen zu 2003/2004 gezogen, als Paris und Berlin den Stabilitätspakt aufgeweicht haben. Sie waren damals Bundesfinanzminister - stimmt diese Darstellung, die in Brüssel verbreitet ist? Hans Eichel: Nein, die Zahlen beweisen das Gegenteil: Seit der Reform des Stabilitätspakts 2005 sanken in der Eurozone Defizite und Staatsschuldenquote kontinuierlich, wie es die Stabilitätsregeln verlangen. Nur Griechenland scherte aus. Dann kam 2008 die Bankenkrise. Die Staaten sind für die Bankschulden eingestanden, damit das Bankensystem nicht zusammenbricht. So sind die Staatsschulden explodiert. Spanien und Irland zeigen das am deutlichsten: Laufende Haushaltsüberschüsse und sehr niedrige Staatsschuldenquote bis zur Bankenkrise, größte Sorgenkinder danach. Die Bankenkrise wurde durch das Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase ausgelöst.

Aber war Europa nicht auch beteiligt?
Eichel: Es gab europäische Zutaten: die Immobilienblase in Spanien und Irland, die lasche Bankenregulierung und das Steuerdumping Irlands, die stabilitätswidrige Verschuldungspolitik der damals neuen griechischen Regierung. Warum hat man in Brüssel nichts dagegen unternommen, obwohl man gerade mit dem reformierten Stabilitätspakt über alle notwendigen Instrumente dafür verfügte?

War es aus heutiger Sicht richtig, damals den Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verändern?
Eichel: Die zentralen Änderungen am Stabilitäts- und Wachstumspakt, die Frankreich und Deutschland 2005 durchgesetzt haben, wurden einstimmig beschlossen und gelten bis heute. Länder können, wenn es ökonomisch vernünftig ist, mehr Zeit erhalten, um wieder unter die Drei-Prozent-Defizitgrenze zu kommen. Und: Haushaltskonsolidierung muss besonders dann betrieben werden, wenn die Wirtschaft gut läuft, nicht in wirtschaftlich schlechten Zeiten.

Warum hat der Stabilitäts- und Wachstumspakt aus Ihrer Sicht die Krise nicht verhindern können? Oder anders gefragt: Glauben Sie, dass die inzwischen vereinbarte verstärkte Haushaltskontrolle ein besseres Instrument ist?
Eichel: Ich bin für eine verstärkte Haushaltskoordinierung und -kontrolle. Aber sie hätte die Krise nicht verhindern können. Denn die Ursachen der Krise lagen eben nicht bei den Staatshaushalten, sondern bei den Banken. Da hilft nur eine scharfe Regulierung des Finanzsektors. Ich hoffe, dass die vereinbarte Bankenunion das leistet.

Dass die Europäische Kommission die Haushalte kontrollieren soll, ist ja nicht neu. Hat die Kontrollfunktion in der Vergangenheit denn wirklich funktioniert?
Eichel: Sie hat nur unzureichend funktioniert. Schlimmstes Beispiel dafür ist Griechenland.

Nicht nur die EU-Kommission, sondern auch der französische Regierungschef fordert Deutschland offen auf, 50 Milliarden Euro zur Verbesserung der europäischen Konjunktur zu investieren. Wie stehen Sie zu einer solchen "Einmischung von außen" innerhalb der Währungsunion?
Eichel: Das ist keine Einmischung von außen, wir sind in Europa ganz eng miteinander verflochten. Wir reden z.B. auch ständig in die Angelegenheiten Griechenlands oder Frankreichs hinein. Frankreich etwa ist der größte Abnehmer unserer Waren, ob es Frankreich gut geht oder nicht, beeinflusst unmittelbar unseren Wohlstand. Also kümmern wir uns um Frankreich.

Wenn man den französischen Widerstand gegen die mutmaßliche Zurückweisung des Etats 2015 hört, fragt man sich, ob die Euro-Mitgliedstaaten wirklich reif sind für eine Wirtschaftsregierung oder eine zentrale Haushaltskontrolle, wie sie eigentlich beschlossen wurden. Sind die Länder schon so weit, dass sie damit ernst machen wollen?
Eichel: Wir alle müssen lernen, europäisch zu denken und zu handeln. Da sind wir seit 1945 ordentlich vorangekommen, mehr als jede andere Region dieser Erde. Das muss weitergehen, eine vernünftige Alternative dazu gibt es nicht: Frankreich tut sich da gegenwärtig schwer.

Halten Sie es für denkbar und politisch vertretbar, dass Frankreich nun erneut mit Samthandschuhen angefasst wird? Oder sollte die Kommission jetzt endlich auch mal bei einem wichtigen, großen EU-Land in Sachen Defizit durchgreifen?
Eichel: Frankreich muss glaubwürdig die notwendigen Reformen anpacken, nur dann kann es auch mehr Zeit für die Haushaltskonsolidierung bekommen. Und Europa muss ein großes Investitionsprogramm für den Ausbau der erneuerbaren Energien und der digitalen Infrastruktur, vor allem in den südeuropäischen Ländern mit ihrer unerträglich hohen Arbeitslosigkeit, starten. Der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will das, Helmut Schmidt fordert das. Das muss jetzt gemacht werden.

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