Französische Atomkraftwerke Warnung vor dem GAU

PARIS · Wer steckt hinter den mysteriösen Drohnenflügen über französischen Atomkraftwerken, die sich seit Mitte September gehäuft haben?

Für gewöhnlich erzeugt Atomenergie in Frankreich wenig Aufruhr und Widerstand in der Öffentlichkeit, gilt sie doch seit General Charles de Gaulle als Garant für Energie-Unabhängigkeit und niedrige Strompreise. Die mehr als 30 unbemannten Flüge über mehreren Atommeilern beunruhigen aber dennoch, solange die Drahtzieher unbekannt sind. Atomanlagen unterhalb von 1000 Metern zu überfliegen ist in Frankreich verboten, der Kernkraftwerksbetreiber EdF hat Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Zunächst wurden Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace als Drahtzieher verdächtigt.

Diese weist jeden Verdacht zurück und hat ihrerseits den britischen Atomexperten John Large mit einem Bericht über die Risiken beauftragt, in dem er die Folgen von vier möglichen Angriffsszenarien durchspielt. Aus Sicherheitsgründen wurde er nicht im Detail veröffentlicht. Bei einer Anhörung vor der französischen Nationalversammlung warnte Large nun, die Atomkraftwerke des Landes seien durchaus verwundbar und die Sicherheitsvorkehrungen "obsolet, da sie gegen Technologien konzipiert wurden, die heute überholt sind". Die mysteriösen Überflüge sollten "eine große Besorgnisquelle für alle darstellen". Es wird nicht ausgeschlossen, dass Terroristen Informationen für spätere Anschläge nutzen.

Aufgrund dieser Gefahr fordert Greenpeace eine vorübergehende Abschaltung der grenznahen Atomkraftwerke in Cattenom und Fessenheim, bis die Hintergründe der Drohnen-Überflüge geklärt sind. "Man weiß heute, dass große Linienflugzeuge umgelenkt werden können, um über den Kraftwerken abzustürzen. Ohne von Drohnen mit explosiver Ladung zu sprechen", warnt Yannick Rousselet, Atomexperte bei Greenpeace France.

Er klagt, die französischen Behörden minimierten die Gefahr, so wie sie schon nach dem Unfall in Tschernobyl behauptet hätten, die radioaktive Wolke habe an der Grenze zu Frankreich Halt gemacht. Rousselet fordert die Beauftragung der Atomaufsicht ASN anstatt wie bisher der französischen Luftwaffe, um Sicherheitsmaßnahmen zu treffen.

In einer anderen Greenpeace-Studie hat die deutsche Diplom-Physikerin Oda Becker Angriffsszenarien durchgespielt und kommt ebenfalls zu dem Schluss, im schlimmsten Fall sei "ein nicht mehr beherrschbarer Kühlmittelverlust und damit ein Kernschmelzunfall" nicht auszuschließen. Die Folgen könnten auch Nachbarländer wie Deutschland und Belgien betreffen.

Frankreich verfügt mit seinen 58 Reaktoren, die auf 19 Standorte verteilt sind, über den weltweit größten Atompark nach den USA. Präsident François Hollande hat nun in einem neuen Energiegesetz sein Wahlversprechen festschreiben lassen, bis zum Jahr 2025 den Atomstromanteil von 75 auf 50 Prozent zu senken. Parallel dazu sollen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, für die dank der Küsten und der Regionen mit hohem Sonnenanteil hohes, aber wenig genutztes Potenzial besteht. Ob Hollande das Versprechen hält, bis 2016 das älteste Kraftwerk in Fessenheim im Grenzgebiet zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz abzuschalten, ist ungewiss, zumal Anwohner und Angestellte vor Ort dagegen protestieren. Im Gesetz wird es nicht erwähnt.

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