Methode, die Wüsten wieder leben lässt Tony Rinaudo ist der Vater des Waldes

HUMBO · "Als ich das erste Mal hier war, gab es keinen einzigen Baum." Tony Rinaudo ist 58 Jahre alt, doch er ist verzückt wie ein Kind vor dem Weihnachtsbaum, als er aus der unbarmherzig brennenden Sonne in die Kühle des Waldes von Humbo tritt.

 Der australische Agrarexperte Tony Rinaudo und der äthiopische Bauer Ergene Sorsa in einem wiederaufgeforsteten Wald in Humbo. FOTO: HEDEMANN

Der australische Agrarexperte Tony Rinaudo und der äthiopische Bauer Ergene Sorsa in einem wiederaufgeforsteten Wald in Humbo. FOTO: HEDEMANN

Foto: Philipp Hedemann

Hier, im Süden Äthiopiens, spenden die Bäume nicht nur Schatten, sie sind auch der Beweis dafür, dass Rinaudo Recht hatte und dass sein 32-jähriger Kampf für die Wiederbegrünung Afrikas nicht vergebens war. Mit einer von ihm entdeckten Methode sind seit 1983 auf einer Fläche von mehr als sechs Millionen Hektar Bäume zurückgekehrt. Der australische Ex-Missionar hat so das Leben von Millionen Menschen verbessert - und sich dennoch viele Feinde gemacht. Die Geschichte eines Mannes, der vom belächelten Baumliebhaber zum lächelnden Baum-Guru wurde.

Alles begann, als der damals 24-jährige, tiefgläubige Rinaudo nach dem Abschluss des Landwirtschaftstudiums von einer Missionarsgemeinschaft in den Niger geschickt wurde, eines der ärmsten Länder in der Sahelzone. "Gegen den Hunger musst du Bäume pflanzen. Nur so kann die Ausbreitung der Wüste aufgehalten werden", hatte Rinaudo im Studium gelernt. Und so machte er was vor ihm Tausende Entwicklungshelfer getan hatten: Er pflanzte Bäume. Wie seine Vorgänger versenkte er viel Geld und Arbeit im Boden. "Ich habe 6000 Bäume pro Jahr gepflanzt. Wahrscheinlich kann man an einer Hand abzählen, wie viele heute noch leben", sagt Rinaudo.

Die Wende kam, als er eines Tages mit seinem Geländewagen und einem Anhänger voller Setzlinge unterwegs war. Als die Piste immer schlechter wurde, musste Rinaudo anhalten, um Luft aus den Reifen zu lassen, damit er mit dem Wagen nicht im Sand steckenblieb. Als er sich niederkniete, entdeckte er, dass mitten in der Wüste aus einem Baumstumpf ein Trieb wuchs.

Rinaudo sah sich um und entdeckte, dass überall winzige Triebe aus dem Sand sprossen. Unter der Wüste verbarg sich ein dichtes Wurzelwerk. Die kaum sichtbaren Triebe waren nur die Spitze des Eisberges, oder wie man in Afrika sagt: die Ohren des Nilpferdes. "Zwei Jahre lang hatte ich diesen unterirdischen Wald nie gesehen. Endlich hatte Gott mir die Augen geöffnet", erzählt der Ex-Missionar.

Anstatt Bäume zu pflanzen, die im trockenen Boden fast nie Wurzeln schlagen, beschloss er, fortan die bereits verwurzelten Pflanzen zu schützen und mit einer einfachen Beschneidungstechnik großzuziehen. Die Idee war so gut wie einfach. Vielleicht zu einfach. Denn Rinaudo stieß zunächst nur auf Widerstand. Als er im Niger anfing, Sträucher zu beschneiden, verspotteten die Bauern ihn als den verrückten weißen Farmer.

Zunächst ließen sich nur zehn Bauern auf die Vision des "verrückten Tony" ein. Doch als schwere Dürren das Land heimsuchten, waren sie es, die auf ihren Feldern dennoch gute Ernten erzielten. Die Wurzeln der Bäume hatten das letzte bisschen Feuchtigkeit im Boden gespeichert und die Erosion gestoppt. Die Blätter hatten Schatten gespendet, die Ziegen ernährt und den Boden gedüngt.

Als die anderen Bauern dies sahen, zogen sie nach. Mittlerweile betreiben alleine im Niger über eine Million Bauern auf rund fünf Millionen Hektar Landwirtschaft unter Bäumen. Chris Reij, niederländischer Experte für nachhaltiges Landmanagement vom renommierten World Ressources Institute in Washington, nennt diese Wiederaufforstung "die wohl größte Umweltveränderung in Afrika in den letzten hundert Jahren". Der Wissenschaftler: "Man kann den Unterschied zwischen der Prä- und der Post-Tony-Zeit sogar aus dem Weltall sehen. Satellitenbilder zeigen, wie Wüste zu Wald wurde."

Seit Rinaudo sah, dass die alte afrikanische, aber durch die Kolonialisierung in Vergessenheit geratene Technik das Zeug hat, Afrika zu begrünen, hat der ehemalige Missionar eine neue Mission. Doch jahrelang war er zu schüchtern, um über seine Erfolge seiner Methode mit dem sperrigen Namen "Farmer managed natural regeneration" (FMNR) zu sprechen. Und weil es ein Eingeständnis gewesen wäre, dass traditionelle Pflanzprojekte, in die Milliarden Euro gesteckt wurden, gescheitert sind, hörten Entwicklungsorganisationen und Forscher zunächst kaum auf den kauzigen Australier. Auch afrikanische Regierungen hatten zunächst wenig Interesse: Beim Schutz von Wurzeln fließt viel weniger Geld als bei der Pflanzung von Bäumen. Somit konnte auch weniger in den Taschen von korrupten Beamten verschwinden.

Der äthiopische Bauer Ergene Sorsa ist glücklich, dass Hilfsorganisationen wie World Vision die Vorteile der Beschneidungstechnik erkannt haben. Während er im neugewachsenen Wald auf dem noch vor neun Jahren völlig kahlen Hügel oberhalb Humbos zusammen mit Rinaudo Bäume beschneidet, erzählt er dem Entwicklungsexperten, dass er seine Ernten oft verdoppeln konnte, seitdem er mit anderen Bauern den Wald aufgeforstet hat. Überschwemmungen und Erdrutsche zerstörten seitdem nicht mehr ihre Ernten. Seit der verheerenden Hungersnot die 1984 in Äthiopien eine Million Menschen tötete, waren sie jedes Jahr auf Hilfslieferungen angewiesen. 2012 hingegen konnten die stolzen Bauern erstmals selbst Überschüsse an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen verkaufen. Zudem seien die Kinder seltener krank und es gäbe viel weniger Streit, seitdem die Bäume dafür sorgen, dass alle satt werden, erzählt Ergene Sorsa. Rinaudo lächelt.

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