Vor dem Referendum Stunde der Entscheidung

Athen · Ein Comeback der Drachme? Davon hält der Wirtschaftswissenschaftler Charalambos Gotsis, Brille, modische Krawatte, perfekt sitzender Anzug, gar nichts. Gotsis ist in diesen Tagen ein überaus gefragter Mann. Ob Unternehmen, Medien oder einfache Bürger: In Sachen Griechenland-Krise schätzen alle seine Kompetenz.

 Kommt bald die Drachme wieder aus den Automaten?

Kommt bald die Drachme wieder aus den Automaten?

Foto: DPA

Gotsis sitzt an diesem sonnigen Morgen in seinem Lieblingscafe an der "Ermou"-Straße, Athens wichtigster Geschäftsmeile. Flink tippt er mit dem Zeigefinger auf dem Bildschirm seines Smartphones eine Antwort per E-Mail ein. Trotz der Krise sprüht er vor Zuversicht. Griechenland und die Griechen bräuchten eine Einigung mit den öffentlichen Gläubigern - und zwar bald. "Dann wird es hier wieder schnell aufwärts gehen." Mit fester Stimme zählt der Ökonom die Gründe dafür auf: "Die Griechen, vor allem die jungen Griechen, haben einen hohen Bildungsstand, vor allem in technologischen Berufen. Ferner haben wir natürliche Ressourcen, die Schifffahrt, eine Pharmaindustrie, eine Landwirtschaft mit tollen Produkten."

Auch Gotsis muss sich nach den massiven Einschnitten der letzten Jahre einschränken. Der Grund ist simpel: Sein Gehalt als Universitätsprofessor sei seit Anfang 2010 kumuliert um vierzig Prozent gekürzt worden. "Ich verdiene jetzt 2000 Euro netto im Monat. Ich will aber nicht klagen. Damit gehöre ich zu den Bestverdienern in Griechenland".

Wie kann Hellas die Wende schaffen? "Ich bin als überzeugter Europäer mit Leidenschaft für den Euro - und zwar ohne Vorbehalt. Dafür gibt es aber im Fall Griechenland auch ganz rationale Gründe. In den meisten griechischen Großunternehmen steckt Kapital aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland." Und: "Griechenland gehört zu Europa, ist nicht nur ein Teil Europas. Hellas ist das Herz Europas."

Dass Griechenland in der Eurozone bleiben wird, steht für Regierungschef Alexis Tsipras auch bei einem "OXI" ("Nein") beim Referendum nicht zur Disposition. Mit eine "Nein" werde seine Verhandlungsposition gegenüber den unnachgiebigen Gläubigern gestärkt, so Tsipras. "Der Verbleib in der Eurozone wird nicht in Frage gestellt. Ich persönlich übernehme die volle Verantwortung dafür, dass wir nach dem Sonntag eine Lösung mit unseren Gläubigern finden - und zwar schon am kommenden Dienstag", bekräftigt Tsipras zugleich. "Unsere Geschichte haben immer wieder ,Neins' geprägt. Seien Sie versichert, dieses ,Nein' wird ein ,starkes Nein' sein. Es wird ein Erdbeben in Europa hervorrufen", so Tsipras weiter.

Für ein klares "Ja" werben hingegen die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia unter Ex-Premier Antonis Samaras, die ehemals omnipotenten Pasok-Sozialisten und die neue "Fluss"-Partei unter dem Starjournalisten Stavros Theodorakis. Für sie bedeutet ein "Ja" im Referendum ein "Ja" zum Euro und zur EU.

Immerhin: Zu den "Ja"-Befürwortern zählen unterdessen auch die Ex-Premiers Kostas Mitsotakis, Kostas Karamanlis, Georgios Papandreou, Athens Bürgermeister Georgios Kaminis, der Athener Erzbischof Heronymos, der griechische Industriellenverband SEV - und ausgerechnet Ex-Finanzminister Georgios Papakonstantinou.

Pikant: Papakonstantinou, der unter Ex-Regierungschef Georgios Papandreou auf Geheiß der ungeliebten Gläubiger-Troika im Frühjahr 2010 den rigorosen Austeritätskurs in Athen einleitete, ist inzwischen rechtskräftig verurteilt. Der Grund: Er manipulierte eine Liste von 2062 vermeintlichen Steuersündern mit Guthaben bei der HSBC-Filiale in Genf. Auf der besagten Liste standen auch Verwandte von ihm. Was Papakonstantinou tat: Er löschte deren Namen.

Fest steht: Der Wahlkampf wird bisher zumeist in Fernsehstudios geführt. Er ist genauso kurz wie heftig. Laut Umfragen zeichnet sich ein Kopf-Kopf-Rennen zwischen den "Ja"-Sagern und "Nein"-Sagern ab.

Die Beobachter sind sich derweil einig: Falls eine Mehrheit der Griechen am Sonntag mit "Ja" stimmen würde, wäre dies vor allem eines: der Anfang des Endes der Regierung Tsipras. In diesem Fall wäre die unmittelbare Ausrufung von vorgezogenen Neuwahlen das wahrscheinlichste Szenario. Das Problem dabei: Der Urnengang fände zur ultimativen Unzeit in Hellas statt - und zwar in den Sommermonaten Juli und August, also mitten in der schulfreien Urlaubs- und in der für viele Hellenen lukrativen Tourismussaison. Auch für die fanatischsten "Ja"-Sager wäre das schlicht ein Unding. Vielleicht gibt dieses Kalkül letztlich den Ausschlag - für ein "OXI" ("Nein").

Wie tief gespalten die Griechen mit Blick auf das Referendum sind, spiegelt sich auch in der Athener Presse wider. Die auflagenstärkste Athener Tageszeitung "Ta Nea" titelte: "Chaos, Armut und die Drachme - das ,Nein' schürt die Angst". Ganz anders stellt sich die Frage für das Blatt "Kontra News": "Nein - um unsere Folterknechte zu bestrafen und unser Land von den Kreditwucherern zu befreien."

Die "Ja"-Sager und "Nein"-Befürworter gaben sich am Freitagabend zeitgleich an verschiedenen Orten in Athen ein Stelldichein. Die "Ja"-Sager trafen sich im alten Athener Olympia-Stadion "Kallimarmaro". Hier sieht man frisch frisierte Frauen in Stöckelschuhen und mit Luxustaschen, die Männer tragen Anzug mit Krawatte, der SUV ist unweit geparkt. Nur einen Steinwurf entfernt bietet sich dem Beobachter ein ganz anderes Bild. Am Verfassungsplatz vor dem Athener Parlament skandieren Zehntausende Griechen, unter ihnen viele Arbeitslose, ein lautes "Nein". Mit Wut im Bauch. Auf Griechenlands Gläubiger. Auch das zeigt das Referendum: Die armen Griechen halten Tsipras die Treue, die Reichen wollen ihn am liebsten zum Teufel jagen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Kosten über Sicherheit
Kommentar zum Einsturz der Brücke in Baltimore Kosten über Sicherheit
Zum Thema
Aus dem Ressort