Flüchtlinge am Eurotunnel bei Calais Sehnsuchtsziel Großbritannien

LONDON · Tagsüber warten sie auf die Nacht. Wenn es endlich dunkel wird, schleichen sie zum Zaun entlang der Gleise. Sie wollen den Suchscheinwerfern der Polizei entkommen, den Hunden und Wärmebildkameras. Aber vor allem wollen jene Menschen, die in Calais ausharren, nach Großbritannien fliehen, dem Sehnsuchtsland vieler Männer und Frauen aus Eritrea, Syrien oder Afghanistan.

 Ein Polizist versucht, Flüchtlinge nahe dem Eurotunnel bei Coquelles in Nordfrankreich aufzuhalten. Dienstag kam ein Flüchtling auf dem gefährlichen Weg nach Großbritannien ums Leben. Tausende versuchen es trotzdem weiterhin jede Nacht.

Ein Polizist versucht, Flüchtlinge nahe dem Eurotunnel bei Coquelles in Nordfrankreich aufzuhalten. Dienstag kam ein Flüchtling auf dem gefährlichen Weg nach Großbritannien ums Leben. Tausende versuchen es trotzdem weiterhin jede Nacht.

Foto: AFP

"Dort erwartet uns das beste Leben", meinen sie. Das jedenfalls hätten sie gehört. "In Großbritannien gelten Menschenrechte", sagt ein Syrer.

Beim Bohnen-Kochen auf verdreckten Planen gehen er und seine Kollegen Tag für Tag durch, wie sie durch die Löcher des an manchen Stellen heruntergekommenen Zauns schlüpfen können, um in den Tunnel unter dem Ärmelkanal zu gelangen. Dort springen sie auf wartende Lastwagen und klettern auf Züge. Ein Mann kam Dienstagnacht beim Versuch, Großbritannien zu erreichen, ums Leben.

Großbritannien als Eldorado

Das Königreich als Eldorado, wie viele das Land sehnsüchtig sehen? Dass hier Englisch geredet wird, kommt zahlreichen Flüchtlingen entgegen. Entweder, weil es in ihrem Herkunftsland Amtssprache ist oder sie Englisch in der Schule gelernt haben.

Hinzu kommt, dass in der Metropole London bereits große arabische und afrikanische Gemeinschaften existieren. Bekannte, Verwandte oder Freunde, die es schon über die Grenze geschafft haben, könnten bei der Ankunft helfen.

Niedrige Arbeitslosenquote weckt Hoffnung

Dass in Großbritannien die Arbeitslosenquote mit 5,4 Prozent nur gut halb so hoch ist wie in Frankreich, weckt Hoffnungen. Auf der Insel ist die wirtschaftliche Lage im Vergleich zu den südeuropäischen Ländern, wo die meisten Menschen in Booten ankommen, deutlich besser.

Außerdem gibt es kein Meldegesetz, so dass es einfacher ist, schwarz zu arbeiten. Es herrscht, anders als etwa in Deutschland oder Frankreich, keine Ausweispflicht. Die Polizei kann demnach nicht einfach Menschen auf der Straße nach ihren Papieren fragen.

Dass das Königreich aufgrund seiner Sozialleistungen als Sehnsuchtsland gilt, wie einige konservative Medien betonen, bezeichnet das Rote Kreuz als "Mythos". Einwanderer haben jedoch das Recht, kostenlos den Nationalen Gesundheitsdienst NHS zu nutzen. Damit sind sie im Krankheitsfall abgesichert.

Genehmigung für knapp 39 Prozent der Asylbewerber

Um diese Leistungen zu erhalten, muss jedoch erst einmal der Asylantrag genehmigt werden. Im vergangenen Jahr haben dies knapp 39 Prozent der Bewerber geschafft - eine höhere Rate als beispielsweise in Frankreich, wo knapp 22 Prozent der Asylanträge genehmigt wurden.

Premier David Cameron kündigte aber gestern an, härter durchgreifen zu wollen: "Wir werden mehr illegale Migranten aus unserem Land abschieben, damit die Leute wissen, dass es kein sicherer Hafen ist, wenn man mal da ist."

Die Rhetorik des konservativen Regierungschefs wurde nicht nur vom britischen Flüchtlingsrat scharf als "furchtbare, entmenschlichende Sprache eines Weltpolitikers" kritisiert. Auch Harriet Harman, Interimschefin der Labour-Partei, befand: "Er sollte sich erinnern, dass er über Menschen spricht, nicht Insekten."

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