Finanzminister will weniger Kompetenzen für Kommission Schäubles neue EU

BRÜSSEL · Wolfgang Schäuble ist sauer - auf jenen Mann, der zum ersten Mal in der Geschichte der Europaparlamentswahlen als Spitzenkandidat aufgestellt und gewählt wurde - und der seine Kommission seither als eine politische sieht und führt. Jean-Claude Juncker hat sich intensiv in die Verhandlungen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras eingebracht. Doch Schäuble ist der Meinung, der Kommissionspräsident habe seine Kompetenzen überschritten.

Der Vorwurf: Eine Kommission, die sich immer mehr wie eine europäische Regierung verhalte, könne nicht gleichzeitig die Rolle der Hüterin der Verträge ausfüllen. Sie müsse wieder "die richtige Balance" zwischen beiden Aufgaben finden, forderte Schäuble im Kreise der EU-Finanzminister Mitte Juli.

So habe Juncker im Zuge der Griechenland-Krise immer wieder das direkte Gespräch mit Tsipras gesucht - und damit dessen Forderung einer Einigung auf höchster politischer Ebene bestätigt. Als Vertreter der europäischen Geldgeber gilt aber die Eurogruppe. Über neue Kredite und Schuldenschnitte müssen die Länder der Gemeinschaftswährung entscheiden, meint Schäuble.

Nun will er die Kompetenzen der EU-Institution offenbar beschneiden. Dabei gilt der 72-Jährige als Unterstützer der Idee einer politischeren Kommission.

Klassisch ist diese für die Durchsetzung des europäischen Rechts im Binnenmarkt zuständig, als Garant für fairen Wettbewerb agiert sie auf europäischer Ebene wie in Deutschland das Bundeskartellamt - agiert aber gleichzeitig immer politischer. Das Vorbild einer unabhängigen Behörde ist es, das Schäuble nach Medienberichten für Brüssel vorschwebt.

Juncker sieht eine "sehr deutsche Sicht" der Dinge

Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem will diese Idee vorantreiben, wenn sein Heimatland, die Niederlande, in der ersten Jahreshälfte 2016 den turnusmäßigen Vorsitz der EU-Ratssitzungen übernimmt. Von einer "Entmachtung der Kommission" könne dennoch keine Rede sein, betonte ein Sprecher Schäubles. Junckers Umkreis verurteilte die Idee nichtsdestoweniger als eine "sehr deutsche" Sicht der Dinge.

Doch es ist ein Vorschlag, der auch dem britischen Premier David Cameron entgegenkommen dürfte. Er will aller Voraussicht nach im kommenden Jahr sein Volk über den Verbleib in der Union abstimmen lassen. Damit er sich dafür einsetzen kann, dass die Briten mit Ja stimmen, müsste die EU sich einer institutionellen Reform unterziehen. Weniger Kompetenzen für die Kommission könnten ihm in die Karten spielen.

Allerdings findet die in den 90er Jahren aufgekommene Idee eines Europas der zwei Geschwindigkeiten nun neuen Anklang: Jene, die eine engere Union wollen, sollten voranschreiten. Diejenigen, die Vorbehalte haben, sollten mehr Zeit bekommen. Eine Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion könnte helfen, Krisen wie jene in Griechenland künftig zu verhindern: etwa durch einen Euro-Finanzminister, der die nationalen Ministerien überwacht.

Die mögliche Einführung einer Eurosteuer käme der 2004 mit der gescheiterten Europäischen Verfassung geplatzten Idee einer politischen Union wieder deutlich näher. Frankreichs Präsident François Hollande, der sich selbst für eine Wirtschaftsregierung im Euroraum ausgesprochen hat, hält dies für den richtigen Weg: "Wir brauchen eine EU-Regierung, die mit einem eigenen Etat und einem eigenen Parlament ausgestattet ist, um ihre demokratische Rolle zu gewährleisten." Auch Kanzlerin Angela Merkel trägt die Idee mit. Beide wollen das Thema im Herbst vorantreiben - während Cameron für weniger Europa plädiert.

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