Rubel im freien Fall Russische Währung hat 60 Prozent an Wert verloren

MOSKAU · Mit dem Rubel stürzt auch die Laune vieler Moskauer ab. "Wir machen jedes Jahr Urlaub in Europa. Im Sommer waren wir in Rom, nächstes Jahr wollten wir nach Irland fahren. Aber jetzt werden wir die Ferien wohl auf der Datscha verbringen", klagt die Hochschuldozentin Marina Astachowa. "Ich komme mir vor, als wäre der eiserne Vorhang wieder da." Fast wirkt es, als treffe Russlands Rubelkrise nur den oberen, reisefreudigen, Moskauer Mittelstand. Aber schon warnen Experten vor einem wirtschaftlichen Kollaps.

 Ernste Mienen: Passanten eilen in Moskau an einer Wechselstube vorbei.

Ernste Mienen: Passanten eilen in Moskau an einer Wechselstube vorbei.

Foto: AP

Die Talfahrt des seit Monaten abwärts schliddernden Rubels gerät zum freien Fall. Am Montag stürzte der Rubel um fast zehn Prozent auf über 76 Rubel pro Euro ab, dem "Schwarzen Montag" folgte ein fast ebenso schwarzer Dienstag, der Euro kletterte gestern auf 84 Rubel, wurde zwischenzeitlich gar über 100 Rubel gehandelt. Der Rubel stabilisierte sich am späten Nachmittag, nachdem Wirtschaftsminister Aleksei Uljukajew ein Maßnahmenpaket zur Stärkung des Rubels ankündigte. Anfang des Jahres hatte der Rubel noch 45 Rubel gekostet.

Dienstagnacht hob die Zentralbank die Leitzinsen von 10,5 Prozent drastisch auf 17 Prozent an, "um die Abwertungs- und Inflationsrisiken zu begrenzen", teilte die Bank mit. Vergeblich. "Die Maßnahmen der Zentralbank sind mehr als nur fehlerhaft und unprofessionell, sie grenzen schon an Wahnsinn", klagte die Duma-Abgeordnete Oksana Dmitrijewa Radio Kommersant FM. Am Montag war bekannt geworden, dass die Zentralbank mit einer Bürgschaft dem Staatskonzern Rosneft 625 Milliarden Rubel vermittelt hatte (auch nach dem neuesten Kurs noch über sechs Milliarden Euro).

"In nur drei Tagen hat die Bank Rosneft diese Rubelsumme zur Verfügung gestellt", sagt Wassili Salodkow, Finanzexperte der Moskauer Hochschule für Ökonomie. "Normalerweise nimmt diese Prozedur ein halbes Jahr in Anspruch. Das Signal, dass die Zentralbank den ersten bedürftigen Staatskonzern direkt mit Geld versorgt, hat den Rubel noch einmal heftig abstürzen lassen."

Obwohl Rosneft dementiert, vermuten viele Experten ein Großteil der Rubelmilliarden sei an der Währungsbörse gelandet. Nun befürchtet die Fachwelt, der Staat werde die Krise weiter anheizen, indem er auch Gazprom und der halbstaatlichen Eisenbahngesellschaft RSchD Hunderte Rubelmilliarden vorschießt, beide haben schon vergleichbare Kreditanfragen wie Rosneft gestellt. Während die erhöhten Zinsen künftig kleinen und mittleren Betrieben ihre Investitionen erschweren. "Langfristig drückt nicht nur der sinkende Ölpreis auf den Rubel", sagt Salodkow. "Sondern auch der völlig verrückte Staatshaushalt mit 34 Prozent Verteidigungsausgaben. Und die Monopolisierung der Wirtschaft, in der große Staatskonzerne dominieren, die in der Krise großzügig mit Krediten versorgt werden." Fachleute wie Banker beklagen mangelnde Transparenz und Glaubwürdigkeit der Zentralbank, aber auch der Regierungspolitik. Und die Zeitung Wedomosti räsoniert: "Der gesamte staatliche Verwaltungsapparat arbeitet gegen den Rubel."

Die Panik hat auch die Moskauer Aktienbörse befallen, die gestern wieder drei Prozent verlor. Schon am Vortag lag der Gesamtwert der dort gehandelten Unternehmen laut Bloomberg bei 339 Milliarden Dollar. Damit beträgt die Kapitalisierung der russischen Wirtschaft fast nur noch die Hälfte des Aktienwertes der US-Firma Apple. Panik macht sich breit. Die staatliche Sberbank dementierte gestern die Meldung, sie werde künftig Privatleuten keine Kredite mehr vergeben. Andere Geldinstitute bestellten fünfstellige Leuchttafeln, die nötig werden, wenn Euro oder Dollar über 100 Rubel kosten. In mehreren Moskauer Geschäften tauchten widerrechtlich Preisschilder mit "Bedingten Einheiten" auf, die schon in den krisenhaften 90ig-er Jahren Euro- oder Dollarpreise für Importware festschrieben. Der Unternehmerverband "Opora" bat das Wirtschaftsministerium gestern schriftlich, die "Bedingten Einheiten" wieder zu legalisieren.

Auch Wirtschaftsprognosen verdüstern sich. Die Zentralbank kündigte für 2015 ein Minuswachstum von 4,5 bis 4,7 Prozent sowie acht Prozent Inflation an.

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