Feuerpause in der Ukraine Ruhe im Donbass, Krise in Kiew

MOSKAU · Seit Dienstagnacht herrscht Waffenruhe. "Es ist still geworden. Sie schießen jetzt nicht einmal aus Gewehren. Ein seltener Zustand", sagte der ukrainische Aufklärungsoffizier Igor Masur am Dienstag. Aber wie die meisten Frontkämpfer auf beiden Seiten glaubt Masur auch diesmal nicht an eine lange Feuerpause.

 Eine junge Frau legt vor dem Parlament in Kiew Blumen in Erinnerung an den am Montag bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei getöteten Nationalgardisten Igor Debrin (24) nieder.

Eine junge Frau legt vor dem Parlament in Kiew Blumen in Erinnerung an den am Montag bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei getöteten Nationalgardisten Igor Debrin (24) nieder.

Foto: dpa

"Sie haben in den vergangenen Wochen vor unseren Linien fast 70 Panzer gesammelt, nach unseren Erkenntnissen Fahrzeuge der russischen Armee." Masur erwartet noch im September einen neuen Angriff der prorussischen Rebellen nördlich von Mariupol. Aber mehr Sorgen bereitet den ukrainischen Kämpfern, was 600 Kilometer hinter der Front passiert, in der Hauptstadt Kiew.

Am Montag beschloss das Parlament in erster Lesung ein Gesetz zu einer Verfassungsänderung, das den Rebellengebieten im Donbass einige Sonderrechte zugesteht. Nach der Abstimmung kam es vor dem Parlament zu gewalttätigen Protesten, ein Sprengsatz explodierte, verwundete mehr als 130 Menschen, vor allem Ordnungshüter, drei Nationalgardisten erlagen ihren Verletzungen.

Der Tod der jungen Wehrpflichtigen entsetzt viele Krieger mehr als die umstrittene Verfassungsänderung. "Bewaffneter Aufstand? Nein Leute, das ist gewöhnlicher Mord", schimpfte der bekannte Frontblogger Juri Kasjanow, "nicht mal politischer Terror. Ihr habt keinen Präsidenten oder Minister umgelegt, sondern unsere Jungs..."

Während das Parlament gestern nach einer Bombendrohung stundenlang geschlossen blieb, kamen viele Kiewer, um Blumen am Ort des Blutbades niederzulegen. Oleg Ljaschko, Vorsitzender der "Radikalen Partei", die sich an den Protesten beteiligt hatte, erklärte, seine Fraktion verlasse die Regierungskoalition.

Ein Sprecher des Innenministeriums kündigte an, man werde Oleg Tjagnibok, den Führer der rechtspopulistischen Partei "Swoboda", zum Verhör vorladen. Tjagnibok hatte die Proteste angeführt. Seine Partei scheiterte bei der Parlamentswahl 2014 an der Fünf-Prozent-Klausel. Nach Ansicht vieler Beobachter riskierte Tjagnibok eine Eskalation, um die Aufmerksamkeit der Wähler im Vorfeld der Regionalwahlen im Oktober auf sich zu ziehen.

"Schlecht, dass in Kiew Blut geflossen ist. Sehr schlecht, dass es umsonst geflossen ist", kommentierte Andrei Purgin, Sprecher des Volkssowjets der Donezker Rebellen. Die Separatisten wollen die Verfassungsänderung nicht anerkennen. Sie monieren, Kiew habe das Gesetz ohne Abstimmung mit ihnen beschlossen.

Zudem werde der Sonderstatus der Gebiete nicht in der Verfassung festgeschrieben. Tatsächlich reden ukrainische Parlamentarier offen davon, die Sonderrechte für die Selbstverwaltung im Donbass würden in zwei Jahren wieder erlöschen.

Denis Pischulin, Chefunterhändler der Separatisten in der Ukraine-Kontaktgruppe, sagte, die Entscheidungen des Kiewer Parlaments erinnerten nur entfernt an den Maßnahmenkatalog, den die Minsker Vereinbarungen vorsehen. "Das ist nicht die Erfüllung dieser Maßnahmen, sondern ihre sehr freie Interpretation." Allerdings interpretieren auch die Aufständischen das Minsker Abkommen ziemlich frei.

Gestern führten sie den russischen Rubel als Hauptwährung ein, für Oktober planen sie eigene Regionalwahlen ohne Abstimmung mit Kiew. Danach sei auch eine Volksabstimmung über einen Beitritt zu Russland möglich, wie Igor Plotnizki, Chef der Lugansker Rebellenrepublik, erklärte.

Mehrere Kremlbeamte bestätigten der Moskauer Internetzeitung gazeta.ru, die russische Führung erwäge die Möglichkeit eines solchen Referendums. Allerdings solle es vor allem dazu dienen, Kiew politisch unter neuen Druck zu setzen, Russland wolle auf jeden Fall vermeiden, offiziell in den Krieg hineingezogen zu werden.

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