Wahlgesetz in Italien Renzis neue Spielregeln

ROM · Italienische Premierminister sind es gewohnt, sich bei Gipfeltreffen unangenehmen Fragen stellen zu müssen. Etwa der, wer denn das nächste Mal zu den Verhandlungen komme.

Italien hatte seit Kriegsende 62 Regierungen, politische Verlässlichkeit und Kontinuität beim Personal zählen nicht zu den Stärken der Republik. Wenn aber wie jetzt der konkrete Versuch unternommen wird, dem Land zu mehr politischer Stabilität zu verhelfen, dann können auch die EU-Partner zufrieden sein.

Das Abgeordnetenhaus in Rom verabschiedete am Montagabend ein neues Wahlgesetz, das Italien Kontinuität garantieren soll. Die Verabschiedung des Gesetzes ist ein Erfolg für Premier Matteo Renzi (Demokratische Partei), der damit eines seiner Wahlversprechen eingehalten hat. Von nun an sei "klar, wer gewonnen hat und wer für fünf Jahre regiert", sagte Renzi.

Fünf Regierungen war es nicht gelungen, das von seinem Initiator, Berlusconis Reformminister Roberto Calderoli, als "Schweinerei" bezeichnete Wahlgesetz von 2005 zu ändern. Weil es den Wählern keine Möglichkeit bei der Auswahl der von der Parteispitze nominierten Abgeordneten ließ, weil Kleinparteien erpresserisches Potenzial hatten und der Mehrheitsbonus unverhältnismäßig groß war, kassierte das Verfassungsgericht das Gesetz.

Die italienische Politik zeigte sich anschließend unfähig zu einem Kompromiss. Es ist Renzis Verdienst, diesen Stillstand endlich überwunden zu haben.

Das neue "Italicum" genannte und nur für das Abgeordnetenhaus geltende Gesetz hat eine relativ niedrige Sperrklausel von drei Prozent, was Kleinparteien weiterhin den Einzug ins Parlament ermöglicht. Sollte eine Partei im ersten Wahldurchgang bereits 40 Prozent der Stimmen erreichen, wird sie mit 55 Prozent der Sitze belohnt. Gelingt das keiner Partei, kommt es zu einer Stichwahl zwischen den beiden stärksten Kräften um den Bonus.

Die Macht der Minderheiten im italienischen Parlament scheint damit gebrochen. Der künftige Wahlsieger kann ohne Koalitionspartner regieren. Koalitionen mit bis zu einem Dutzend Parteien waren der Schwachpunkt des parlamentarischen Betriebs. Renzi hingegen hatte bei der Abstimmung zum "Italicum" mit der eigenen Partei die größten Probleme. Nachdem ein Reformpakt mit Berlusconi geplatzt war, forderte der linke PD-Flügel vergeblich Änderungen am Entwurf.

Ob das neue Wahlgesetz Italiens demokratische Defizite langfristig heilen kann, ist allerdings fraglich. Einerseits trägt es Züge, die jede Art von parteiübergreifendem Kompromiss unnötig machen. Das ist angesichts der Stärke des PD, der Fundamentalopposition von Beppe Grillos Fünf-Sterne-Partei sowie des in Auflösung begriffenen rechten Parteispektrums verständlich.

Zum Anderen tritt das Gesetz erst im Juni 2016 in Kraft. Bis dahin soll die Reform des Senats endgültig abgeschlossen sein. Damit das "Italicum" seine Wirkung entfalten kann, muss erst die Senatsreform in mühsamer parlamentarischer Arbeit umgesetzt werden.

Das ist die eine Achillesferse des Gesetzes. Die andere Frage ist, ob das "Italicum" auch ein Gesetz ist für andere politische Verhältnisse. Etwa für den Fall eines übergeschnappten Renzi oder den Aufstieg eines neuen Berlusconi? Das "Italicum" vereinfacht der Regierung erheblich das Leben, eine Garantie für das Gleichgewicht der Gewalten in einer Demokratie ist es nicht.

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