Kurdenführer Öcalan will Frieden mit Ankara PKK-Chef: Anhänger sollen Waffen strecken

ISTANBUL · Nach mehr als 30 Jahren Krieg im türkischen Kurdengebiet ist der Frieden in Südostanatolien möglicherweise ein Stück näher gerückt. Der inhaftierte Chef der Rebellengruppe PKK, Abdullah Öcalan, hat seine Guerrilla aufgerufen, den bewaffneten Kampf gegen Ankara einzustellen.

 PKK-Chef Abdullah Öcalan 1999 während seines Gerichtsprozesses.

PKK-Chef Abdullah Öcalan 1999 während seines Gerichtsprozesses.

Foto: dpa

Die Regierung in Ankara feiert den Appell als Meilenstein auf dem Weg zu einem friedlichen Ende des Kurdenkonfliktes. Doch Öcalans Aufruf stößt nicht überall auf Freude. Die PKK macht einen Gewaltverzicht von konkreten Schritten Ankaras abhängig. Für Premier Ahmet Davutoglu wäre ein Friedensschluss vor der Parlamentswahl am 7. Juni ein wahlentscheidender Pluspunkt. Ein Ende des langen Krieges, in dem seit 1984 mehr als 40 000 Menschen ihr Leben verloren haben und der in der Gesellschaft der Türkei tiefe Wunden geschlagen hat, steht laut Meinungsforschern auf der Wunschliste der Wähler auf einem der obersten Plätze.

Davutoglu muss jedoch vorsichtig agieren, weil die türkischen Nationalisten darauf lauern, Zugeständnisse an die PKK als Verrat am Vaterland zu brandmarken. Zudem herrscht in der Öffentlichkeit große Skepsis, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Demnach glauben mehr als vier von fünf Wählern nicht daran, dass die PKK die Waffen niederlegt.

Öcalans Appell, der am Samstag von dem Kurdenpolitiker Sirri Süreyya Önder bei einem Treffen mit Regierungsvertretern in Istanbul verlesen wurde, ist deshalb ein wichtiges Signal. Öcalan rief die PKK auf, den endgültigen Gewaltverzicht bei einem Kongress noch in diesem Frühjahr zu besiegeln. Auf Weisung Öcalans hält die PKK seit knapp zwei Jahren einen Waffenstillstand ein. Öcalan verhandelt seit Ende 2012 auf der Gefängnisinsel Imrali mit dem türkischen Geheimdienst MIT über eine Friedenslösung.

Davutoglu sprach von einer neuen Phase im Friedensprozess, Präsident Recep Tayyip Erdogan von einer "sehr, sehr wichtigen" Entwicklung. Die Reaktionen auf kurdischer Seite fielen dagegen zurückhaltender aus. Gleichzeitig mit seinem Appell an die PKK erneuerte Öcalan seine Forderung an Ankara, politische Reformen einzuleiten. Dazu gehören eine Neufassung des Staatsbürgerbegriffes, der bisher alle ethnischen Unterschiede negiert, ein Umbau der Sicherheitsorgane und mehr Freiheitsrechte. Zudem fordert er mehr regionale Selbstbestimmung.

Bisher zeigt Ankara keine Bereitschaft, den Kurden auf diesen Feldern entgegenzukommen. Doch für die PKK stehe fest, dass der türkische Staat nach Öcalans "historischem" Appell konkrete Schritte unternehmen müsse, erklärte die politische Organisation der Rebellengruppe, die KCK. Ohne dass Ankara die von Öcalan geforderten "Hausaufgaben" erledigt habe, sei die Guerrilla wohl kaum zur Entwaffnung bereit, schrieb der Kolumnist Celal Baslangic. An den "Hausaufgaben" könnte sich deshalb das Schicksal des Friedensprozesses entscheiden.

Aktuell geht es vor allem um Pläne der Regierung für ein neues Sicherheitsgesetz, das der Polizei zusätzliche Befugnisse zuspricht und Strafen für Demonstrationsteilnehmer erhöht. Die Kurdenpartei HDP, die regelmäßig mit Öcalan spricht, ist sicher, dass die Regierung das Gesetzespaket abändern wird, um den Friedensprozess nicht zu gefährden: Die umstrittenen Passagen des Gesetzes würden entschärft, sagte die HDP-Politikerin Pervin Buldan.

Weil bisher konkrete Gegenleistungen des türkischen Staates für die Kurden fehlen, wird heftig über etwaige Geheimabsprachen zwischen Öcalan und dem Geheimdienst spekuliert.

Warum sollte der PKK-Chef einen solch dramatischen Appell an seine Leute richten, wenn sich Ankara nicht bewegt?, fragen sich die Kommentatoren. Öcalan werde wohl "ernsthafte Zugeständnisse" erhalten haben, schrieb der Journalist Ilhan Tanir. Worin diese bestehen könnten, ist nicht bekannt. Schon seit einiger Zeit gibt es Gerüchte über eine Freilassung des PKK-Chefs, was besonders die Nationalisten aufbringen würde. Auch deshalb dürfte die Regierung alles tun, um einen möglichen Deal mit Öcalan bis zur Wahl im Juni unter der Decke zu halten.

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