Kommentar Notwendiges Solo

WASHINGTON · Sie arbeiten härter als andere. Sie halten die Familie hoch. Sie machen einen Bogen um staatliche Auffangnetze. Sie zahlen Steuern und verhalten sich in überwältigender Zahl gesetzestreu.

Sie sind keine Belastung. Sie sind der billige Schmierstoff im Maschinenraum der amerikanischen Wirtschaft. Trotzdem sind die rund zwölf Millionen Illegalen in Amerika, in der Mehrzahl Latinos, Bürger dritter Klasse. Rechtlos. Immer mit einem Bein im Abschiebegefängnis. Stets in der Angst, das Familienbande staatlicher Willkür zerschnitten werden. Wenn die fehlende Aufenthaltsberechtigung auffliegt. Für ein Land, das seine Erfolgsgeschichte ausschließlich auf Einwanderung gründet, ein erbärmlicher Zustand.

Ihn zu beenden, wie Präsident Obama es jetzt auf eigene Faust unter hohen Auflagen für fünf Millionen Betroffene getan hat, war darum nicht mehr als ein überfälliger Akt nachholender Wiedergutmachung. Ein erster Schritt, dem eine umfassende Reform folgen muss, die das Zeug hat, das zerstrittene Land mit sich zu versöhnen. Das Gegenteil wird der Fall sein. Die Gräben werden noch tiefer.

Von "Staatsstreich" sprechen die Republikaner, ja sogar von "Amtsenthebung". Obamas Alleingang ist ihnen Beleg für das Gebaren eines "Imperators". Elendes Ablenkungsmanöver, gespielte Entrüstung! Obama bewegt sich wie viele seiner Vorgänger, die auch mit präsidialem Dekret an der Einwanderung herumgedoktert haben, zwischen den Planken des Rechtsstaats. Sein Solo war notwendig, um den Stillstand zu beenden und Wahlversprechen einzulösen. Unter dem zerstörerischen Einfluss ihres populistischen Tea-Party-Flügels verweigern sich die Konservativen seit Jahren einer Lösung.

Die ersten Reaktionen der just vom Wähler mit komfortablen Mehrheiten ausgestatteten Republikaner lassen noch Schlimmeres erahnen. Leichtfertig reden einige Abgeordnete die Gefahr von "sozialen Unruhen" herbei, falls Obamas "unrechtmäßige Amnestie" vor den Gerichten Bestand haben sollte. Kaliber wie Michele Bachmann, die 2012 für das Weiße Haus kandidierte, prophezeien, dass all jene, die Obama jetzt vor Abschiebung schütze, Analphabeten seien, die bei der nächsten Wahl den Demokraten ihre Stimme geben. Die pure Hetze, denn dieser Personenkreis darf gar nicht wählen.

Anstatt das Land in Geiselhaft zu nehmen und einen ohnehin geschwächten Präsidenten weiter zu demontieren, müssen die Republikaner beweisen, dass sie mehr können als Erpressung und Agitation. Ein eigenes Konzept zur Reform der Einwanderung ist schon deshalb geboten, weil die Demografie Fakten schafft. In 25 Jahren werden die Latinos die größte Bevölkerungsgruppe in den USA stellen. Wer Wahlen gewinnen will, darf diese Menschen nicht unaufhörlich vor den Kopf stoßen

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort