Terrormiliz erweitert ihren Einflussbereich Islamischer Staat erobert die Hälfte Syriens

ISTANBUL · Mit der Einnahme der antiken Stadt Palmyra in Zentral-Syrien hat die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) das Gebiet ihres "Kalifats" erheblich erweitert. Nach Einschätzung von Aktivisten beherrschen die Dschihadisten jetzt mehr als die Hälfte des syrischen Staatsgebietes und die meisten Ölfelder des Landes. Sie haben sich zudem eine gute Ausgangssituation für neue Eroberungen geschaffen, denn mit Palmyra kontrollieren sie wichtige Versorgungswege zwischen verschiedenen Landesteilen.

 In Mitleidenschaft gezogen: Wissenschaftler fürchten um die antiken Stätten in Palmyra. Sie könnten demnächst ganz zerstört werden.

In Mitleidenschaft gezogen: Wissenschaftler fürchten um die antiken Stätten in Palmyra. Sie könnten demnächst ganz zerstört werden.

Foto: EPA

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, der IS habe seit der Ausrufung des "Kalifats" im vergangenen Jahr mehr als 95 000 Quadratkilometer und damit über 50 Prozent des syrischen Staatsgebietes unter seine Kontrolle gebracht; die Gesamtfläche Syriens beträgt gut 186 000 Quadratkilometer. Der IS beherrscht zudem weite Teile des Irak und hat dort zuletzt die Stadt Ramadi erobert, die nur 100 Kilometer von Bagdad entfernt liegt. Auch ein weiterer Grenzübergang zwischen Syrien und dem Irak fiel an die Extremisten.

Zwar bestehen viele syrische Gebiete des "Kalifats" aus Wüste, doch die jüngsten Eroberungen sind nach Einschätzung der Beobachtungsstelle, die sich auf Berichte aus Syrien stützt, von erheblicher Bedeutung. Die allermeisten Gas- und Ölfelder Syriens werden demnach inzwischen vom IS kontrolliert. Zudem liegt Palmyra strategisch äußerst günstig, weil sich bei der Stadt wichtige Verkehrswege kreuzen, die den Nachschub für die Eroberer erleichtern können. Die Hauptstadt Damaskus liegt etwas mehr als 200 Kilometer südwestlich von Palmyra.

Die IS-nahe Internsetseite "Takvahaber" in der Türkei veröffentlichte eine Karte Syriens, die weite Teile Zentral-, Nord- und Ostsyriens als Machtbereich der Dschihadisten zeigte. Gleichzeitig demonstrierte die Karte den Zerfall Syriens nach vier Jahren Bürgerkrieg mit mehr als 200 000 Toten: Einige Gebiete im Norden und Osten werden von den Kurden beherrscht, Teile des Nordwestens stehen unter der Kontrolle von Rebellengruppen wie der vom Westen unterstützten "Freien Syrischen Armee" (FSA) und diverser islamistischer Milizen, während die Regierung von Präsident Baschar al-Assad große Teile des Südens und des Westens hält. Der Rest ist IS-Gebiet. Assads Armee hatte zuletzt auch im Kampf gegen die neue Rebellenallianz "Armee der Eroberung" in der nordwestlichen Provinz Idlib empfindliche Niederlagen einstecken müssen. In Presseberichten wird über eine Flucht von Assad aus Damaskus spekuliert. Assad könnte demnach vorhaben, sich an der Mittelmeerküste Syriens zu verschanzen, einer Hochburg der alawitischen Minderheit, zu der der Präsident gehört.

Der Siegeszug des IS ist aber nicht nur eine Niederlage für Assad, sondern auch für den Westen, der seit dem vergangenen Jahr versucht, die Dschihadisten mit punktuellen Luftangriffen und verstärkten Kontrollen zur Drosselung des Nachschubs an Waffen und neuen Kämpfern zu zwingen. US-Präsident Barack Obama räumte im Magazin "The Atlantic" einen Rückschlag im Kampf gegen den IS ein. Regierungsvertreter in Washington sprachen von schwierigen Herausforderungen im Kampf gegen die Terrormiliz, der lange dauern werde. Eine internationale Intervention in Syrien zur direkten Bekämpfung des IS ist nach wie vor nicht in Sicht.

Der Vormarsch der Terrormiliz hat weltweit große Sorge um das Unesco-Weltkulturerbe in der historischen Wüstenstadt Palmyra ausgelöst. Eine Zerstörung der archäologischen Stätten Palmyras wäre nach Einschätzung von Unesco-Chefin Irina Bokowa ein "enormer Verlust für die Menschheit".

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