Tragödie in Kundus International herrscht Empörung

Washington/ Kundus · Kein Beitrag zu "Winning hearts and minds" in Afghanistan - Während die Schilderungen über die Umstände des Bombardements stark auseinandergehen, sind sich UN, Nato, USA und Ärzte ohne Grenzen in ihrer Bestürzung über den Vorfall vom Samstag einig.

Die Anweisung von General Stanley McChrystal war glasklar. Vor dem Einsatz militärischer Gewalt aus der Luft gegen Orte, "an denen zivile Opfer wahrscheinlich sind", haben sich US-Kommandanten "im Zweifelsfall zurückzuziehen anstatt die Taliban bis in Wohngebiete weiterzuverfolgen".

McChrystals Befehl sollte vor der Weltöffentlichkeit klarstellen, dass Amerika einen Gefechtssieg gegen die Aufständischen in Afghanistan, bei dem Zivilisten sterben, als Rückschlag ansieht.

Das war 2009. Sechs Jahre später scheint die Direktive in Vergessenheit geraten zu sein. Bei einem Unterstützungseinsatz der US-geführten Nato-Truppen in Kundus für die afghanische Armee kam ausgerechnet das Krankenhaus der seit Tagen umkämpften Provinzhauptstadt unter schweres Feuer.

Die genauen Umständen sind unklar, die Folgen aber verheerend. 19 Mediziner und Assistenten der Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" sowie etliche Patienten starben am Samstag. 37 weitere Menschen erlitten schwerste Verletzungen.

Seither herrscht international Empörung und Kopfschütteln. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg zeigte sich "tief betroffen". UN-Generalsekretär Ban-Ki-Moon verlangte eine "gründliche, unabhängige Untersuchung".

US-Verteidigungsminister Ashton Carter und General John Campbell, der amtierende Oberkommandierende der Nato-Truppen in Afghanistan, sicherten schnelle Aufklärung zu. US-Präsident Barack Obama sprach den Angehörigen sein Beileid aus, will aber die Ergebnisse der Untersuchung abwarten, um "ein abschließendes Urteil über die Umstände dieser Tragödie zu fällen".

Taliban vor Ort oder nicht vor Ort

Nach inoffiziellen US-Angaben waren am Samstagmorgen US-Soldaten gemeinsam mit afghanischen Spezialkräften am Boden im Einsatz. Als Taliban-Kämpfer in der Nähe der Klinik das Feuer auf US-Kräfte eröffnet haben sollen, wurde dass Spezialflugzeug AC-130 ("Spectre") angefordert.

Die von dort abgefeuerten Geschosse hätten zwar nicht direkt das Krankenhaus getroffen, hieß es zunächst. Allerdings sei es wahrscheinlich, dass Schrapnelle die tödlichen Kollateralschäden ausgelöst haben.

Nach Berichten anderer Augenzeugen sollen sich die Taliban im Krankenhaus verschanzt und medizinisches Personal als Schutzschild benutzt haben. Andere Quellen sagten dagegen, es seien überhaupt keine Taliban in der Nähe gewesen, als die Bomben fielen. Die Hilfsorganisation "Ärzte ohne Grenzen" reagierte mit Wut und Fassungslosigkeit auf den Zwischenfall.

Ein Sprecher betonte, dass sowohl Nato- und Regierungsstellen in Kabul als auch in Washington vorher mit den GPS-Koordinaten der Klinik versorgt worden seien. Damit sollte ein irrtümlicher Beschuss ausgeschlossen werden.

Die Tragödie von Kundus kann nach Ansicht von Afghanistan-Experten in Washington zu einem "weiteren Vertrauensverlust der Bevölkerung in die westlichen Truppen führen". Die Taliban werden die Bombardierung "propagandistisch ausschlachten und sich in der Bevölkerung als Beschützer andienen", heißt es in der Denkfabrik Brookings.

Ähnlich sei es gewesen, als im September 2009 unter dem Kommando des deutschen Oberst Georg Klein bei Kundus zwei Tanklastzüge aus der Luft bombardiert wurden. Dabei starben 137 Afghanen, fast alle Zivilisten, darunter 48 Kinder.

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