Reihe "Bonn und die Welt" In der Zwischenphase des Krieges

BONN · Holger Neuweger bekommt heute noch glänzende Augen, wenn er von der "größten Silvesterfeier meines Lebens" spricht. Die hat der damalige Büroleiter der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Kiew vor einem Jahr auf dem Maidan erlebt. Nach Jahren der Apathie in der Ukraine seien die Menschen sehr glücklich gewesen, sagt er, niemand hätte sich da vorstellen können, was wenige Monate später geschehen würde: die Annektierung der Krim durch Russland und der Krieg im Osten des Landes.

 Das Podium: (von links) Roman Goncharenko, Andreas Heinemann-Grüder, Holger Neuweger und Andreas Mühl.

Das Podium: (von links) Roman Goncharenko, Andreas Heinemann-Grüder, Holger Neuweger und Andreas Mühl.

Foto: Barbara Frommann

Neuweger äußerte sich gestern Abend vor rund 100 Besuchern bei der gemeinsamen Veranstaltung "Ukraine: Die Krise, die Menschen und ein globaler Konflikt" in der Reihe "Bonn und die Welt" von GIZ und General-Anzeiger.

Roman Goncharenko, aus der Ukraine stammend und seit 2000 Experte für sein Heimatland bei der Deutschen Welle, hat hingegen schon lange mit einem Krieg gerechnet: "Russland hatte die Unabhängigkeit der Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion immer als Betriebsunfall empfunden." Goncharenko glaubt aber nicht an einen "großen Krieg, sondern ein langsames Verschlucken". Russland werde "mal da und mal dort ein Stück abbeißen". Als er dann aber davon sprach, dass Moskau womöglich Nuklearwaffen gegen die Ukraine einsetzen würde, regte sich Widerspruch im Publikum. Goncharenko: "Das glaube ich wirklich. Was von Russland kommt, ist Hass, Hass und nochmal Hass gegen die Ukraine."

Konfliktforscher Andreas Heinemann-Grüder, bis 2010 und wieder ab Januar im Bonner Konversionszentrum (BICC) tätig, sieht den Krieg in einer "Zwischenphase". Russlands Präsident Wladimir Putin hätte nicht mit solch harten Sanktionen des Westens gerechnet. "Sobald aber die Sanktionsfront wackelt", meinte der Forscher, werde Putin wieder daran gehen, die Landbrücke zur Krim herzustellen, sprich Teile des Südostens der Ukraine zu erobern.

Und wie geht es weiter?, fragte Moderator Andreas Mühl, stellvertretender GA-Chefredakteur. Die EU müsse der Ukraine mehr helfen, sagte Heinemann-Grüder, "wir sind rhetorisch solidarisch, aber de facto nicht engagiert". Wenn die Ukraine weiter zerfalle und der Staatsbankrott nicht abgewendet werde, könnten die Autokraten überall in den ehemaligen Staaten der UdSSR sagen: Das westliche Modell funktioniert nicht. Derweil sieht er Putin stark unter Druck. Es gebe eine große Unzufriedenheit in Russland, weil die versprochene Modernisierung des Landes nicht in Gang komme.

Und die Menschen? Sowohl in Russland als auch in der Ukraine litten vor allem die Rentner, hieß es. Also werde die Bevölkerung in den umkämpften Bezirken in der Ostukraine ihre Sympathien vor allem danach verteilen, wer ihnen am ehesten helfe zu überleben.

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