Kobane Im Wettlauf mit den Terroristen

ISTANBUL · Kurden aus dem Irak wollen der angekündigten Verstärkung des IS den Weg abschneiden.

Bahngleise auf der Strecke der alten Bagdadbahn, ein Güterbahnhof und ein geschlossenes Metalltor - so sieht der Grenzübergang zwischen dem türkischen Dorf Mürsitpinar und der nordsyrischen Stadt Kobane aus. Die verlassene Gegend, die auf türkischer Seite von der Polizei abgesperrt ist, rückt seit Tagen in den Mittelpunkt eines Kampfes, dem die ganze Welt gespannt folgt.

Gegenüber von Mürsitpinar versuchen die Kämpfer des "Islamischen Staates" (IS), die syrische Seite des Grenzübergangs unter ihre Kontrolle zu bekommen. Sollte ihnen das gelingen, wäre der angekündigten Verstärkung für die kurdischen Verteidiger der Stadt der Weg von der Türkei nach Kobane abgeschnitten.

Etwa 150 bis 200 Soldaten aus dem Nordirak mit schweren Waffen sollen den Kurden in Kobane helfen, doch die Verhandlungen mit der Türkei über den Truppentransport auf türkischen Straßen ziehen sich hin. Erst in einigen Tagen werden die Iraker in Kobane erwartet. Deshalb hat der IS seine Attacken verstärkt - ein Wettlauf gegen die Zeit hat begonnen. Die regierungsnahe türkische Zeitung "Yeni Safak" meldete gestern, auch die Dschihadisten verstärkten ihre Truppen in Kobane. Mindestens 600 zusätzliche Kämpfer und ein halbes Dutzend Geschütze des IS sollen auf dem Weg nach Kobane sein.

Luftangriffe der USA und ihrer Alliierten sowie die Gegenwehr der rund 2000 kurdischen Kämpfer in Kobane hatten den Vormarsch des IS ins Stocken gebracht. Ein Vertreter der US-Armee sagte der Nachrichtenagentur AFP, die kurdischen Verteidiger seien in der Lage, dem Angriffsdruck des IS zu widerstehen. Der IS hat die Stadt von drei Seiten eingeschlossen - nur über die im Norden Kobanes verlaufende Grenze zur Türkei sind Verstärkungen für die Kurden möglich.

Nicht nur die nordirakischen Peschmerga-Kämpfer bereiten Hilfe für Kobane vor. Auch die vom Westen unterstützte "Freie Syrische Armee" (FSA) will sich einschalten und 1300 Kämpfer schicken. Auf der FSA ruhten einst die Hoffnungen der Türkei und anderer westlicher Staaten. Doch dann geriet die von inneren Machtkämpfen erschütterte Rebellenarmee gegenüber extremistischen Gruppen wie dem IS ins Hintertreffen.

Mehrere zur FSA gehörende Milizen, darunter auch islamistische Gruppen, wollen sich nun am Truppeneinsatz in Kobane beteiligen und ebenfalls über türkisches Gebiet in die eingekesselte Stadt gelangen. Dafür erhofft sich die FSA, künftig wie die Kurden in Kobane von den USA unterstützt zu werden: Von der internationalen Anti-IS-Koalition fordert die Rebellenarmee "militärische und logistische Unterstützung", wie türkische Medien meldeten. Die Kurden in Kobane sind über die angekündigte Hilfe durch die nicht-kurdischen Kräfte des FSA nicht erfreut. Ein Kurdensprecher in Kobane wurde von der pro-kurdischen Nachrichtenagentur Amed mit den Worten zitiert, es wäre besser, wenn die FSA anderswo neue Fronten gegen den IS eröffnen würde. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, die in Kobane kämpfende Kurdenpartei PYD habe die Hilfe durch die FSA akzeptiert - was von PYD-Chef Salih Müslim dementiert wurde.

Hinter Erdogans Lob für die FSA steht das türkische Doppelziel, einen Machtzuwachs der mit der Rebellengruppe PKK verbündeten syrischen Kurden zu verhindern und den internationalen Kampf gegen den IS in Syrien auf die Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad auszuweiten. Ein Kampf gegen Assad wird von den USA bisher strikt abgelehnt. Ein Eingreifen der FSA in den Kampf um Kobane mit US-Unterstützung wäre deshalb aus türkischer Sicht ein Schritt in die richtige Richtung: Wie die Türkei betrachtet die FSA die Assad-Regierung als ihren Hauptfeind.

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