Interview mit Georg Gänswein "Franziskus nutzt die Medien sehr geschickt"

ROM · Der Vatikan wirkt an diesem finsteren Nachmittag im Januar wie verwaist, Papst Franziskus ist auf Reisen. Kurienerzbischof Georg Gänswein (58), Präfekt des Päpstlichen Hauses, erscheint im schwarzen Talar.

 Im Machtzentrum der katholischen Kirche: Georg Gänswein ist nah dran an Papst Franziskus.

Im Machtzentrum der katholischen Kirche: Georg Gänswein ist nah dran an Papst Franziskus.

Foto: dpa

Das Interview findet im prächtigen, mit Fresken bemalten Empfangssaal des Präfekten statt. Monsignore Gänswein wirkt gut gelaunt und zündet vor dem Gespräch noch einmal den Adventskranz an.

Vor Weihnachten sorgte Papst Franziskus mit seiner Ansprache über 15 Krankheiten der römischen Kurie für Furore. Sie saßen direkt neben dem Papst. Wann haben Sie aufgehört mitzuzählen?
Georg Gänswein: Als Präfekt des Päpstlichen Hauses saß ich wie immer bei solchen Anlässen zur Rechten des Papstes. Als die Aufzählung der Krankheiten begann, dachte ich mir: Jetzt wird's spannend, und es wurde immer spannender. Bis zur neunten Krankheit habe ich noch mitgezählt ...

Was ging Ihnen durch den Kopf?
Gänswein: Normalerweise nützt der Papst den Weihnachtsempfang für die Kurie, um Rückschau auf das abgelaufene Jahr zu halten und auch einen Blick auf das kommende zu werfen. Dieses Mal war es anders. Papst Franziskus zog es vor, den Kardinälen und Bischöfen einen Gewissensspiegel vor Augen zu halten.

Fühlten Sie sich angesprochen?
Gänswein: Natürlich habe ich mich gefragt: Wo trifft es dich? Von welcher Krankheit bist du infiziert? Was ist korrekturbedürftig?

Was bezweckte Franziskus mit dieser Art von Geißelung?
Gänswein: Diese Frage haben sich viele meiner Kollegen auch gestellt. Papst Franziskus ist jetzt fast zwei Jahre im Amt und kennt die Kurie inzwischen recht gut. Offensichtlich hat er es für nötig gehalten, Klartext zu reden und zur Gewissenserforschung anzuleiten.

Wie waren die Reaktionen?
Gänswein: Medial war das natürlich ein Leckerbissen. Während der Ansprache habe ich schon die Schlagzeilen gesehen: Papst geißelt Kurienprälaten; Franziskus liest seinen Mitarbeitern die Leviten! Nach außen ist leider der Eindruck entstanden, dass es einen Riss zwischen dem Papst und der Kurie gibt. Dieser Eindruck trügt, er deckt sich nicht mit der Realität. Aber die Ansprache hat Wasser auf diese Mühlen gespült.

Wurde die Rede intern stark kritisiert?
Gänswein: Die Reaktionen reichten von Überraschung bis hin zu Betroffenheit und Unverständnis.

Wie erleben Sie Franziskus zwei Jahre nach seiner Wahl?
Gänswein: Papst Franziskus ist ein Mann, der von vornherein klar gemacht hat, dass er Dinge, die er anders sieht, auch anders anpackt. Das gilt für die Wahl seiner Wohnung, des Autos, das er fährt, für den ganzen Audienzbetrieb im Allgemeinen und für das Protokoll im Besonderen. Man kann sich denken, dass das am Anfang gewöhnungsbedürftig war und ein gehöriges Maß an Flexibilität verlangte. Inzwischen ist daraus Alltag geworden. Der Heilige Vater ist ein Mann von außergewöhnlicher Schaffenskraft und lateinamerikanischem Schwung.

Viele fragen sich dennoch, wohin geht die Reise?
Gänswein: Wer aufmerksam auf die Worte des Papstes hört, erkennt darin eine klare Botschaft. Trotzdem taucht immer wieder die Frage auf: Wohin will Franziskus die Kirche führen, was ist sein Ziel?

Welche Akzente setzt Franziskus?
Gänswein:
Der wichtigste Akzent heißt Mission, Evangelisierung. Dieser Aspekt zieht sich wie ein roter Faden durch. Keine innerkirchliche Nabelschau, keine Selbstreferenzialität, sondern das Evangelium in die Welt hinaustragen. Das ist die Devise.

Haben Sie Verständnis für Francis George, den emeritierten Erzbischof von Chicago, der kritisierte, die Worte des Papstes seien manchmal ambivalent?
Gänswein: Es gab in der Tat Fälle, da musste der vatikanische Pressesprecher nach einschlägigen Veröffentlichungen eingreifen, um Klarstellungen vorzunehmen. Korrekturen sind dann erforderlich, wenn bestimmte Aussagen zu Missverständnissen führen und von bestimmten Seiten vereinnahmt werden können.

Hat Franziskus die Medien besser im Griff als sein Vorgänger?
Gänswein: Franziskus geht mit den Medien offensiv um. Er nutzt sie intensiv und direkt.

Auch geschickter?
Gänswein: Ja, er nutzt sie sehr geschickt.

Wer sind eigentlich seine engsten Ratgeber?
Gänswein: Diese Frage geistert stets und beständig umher. Ich weiß es nicht.

Sind der amtierende und der emeritierte Papst in der umstrittenen Frage der Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten entgegengesetzter Auffassung?
Gänswein: Ich kenne keine lehrmäßigen Aussagen von Papst Franziskus, die der Auffassung seines Vorgängers entgegenstünden. Das wäre auch absurd. Das eine ist, das pastorale Bemühen deutlicher zu betonen, weil die Situation es erfordert. Das andere ist, eine Änderung in der Lehre vorzunehmen.

Wie reagiert Benedikt auf die Versuche traditionalistischer Kreise, in ihm einen Gegenpapst zu sehen?
Gänswein: Es waren nicht traditionalistische Kreise, die das versucht haben, sondern Vertreter der theologischen Zunft und einige Journalisten. Von einem Gegenpapst zu sprechen, ist einfach dümmlich, aber auch verantwortungslos. Das geht in Richtung theologische Brandstiftung.

In der Konstellation mit amtierendem und emeritiertem Papst steckt jedoch Konfliktpotenzial...
Gänswein: Meine Erfahrungen decken sich nicht mit dieser eher suggestiven als realistischen Vermutung. Konfliktpotenzial wäre nur dann vorhanden, wenn es Unklarheiten in den Kompetenzen gäbe: Die gibt es aber nicht! Der emeritierte Papst ist doch keine Rekursinstanz für den regierenden Papst.

Benedikt XVI. hatte nach seinem Rücktritt versprochen, "verborgen vor der Welt" zu leben. Er taucht aber doch immer wieder auf.
Gänswein: Wenn er bei verschiedenen wichtigen kirchlichen Ereignissen präsent ist, dann deshalb, weil er von Papst Franziskus persönlich eingeladen wurde. Darüber hinaus hat er ein Grußwort verfasst zur Einweihung des nach ihm benannten Auditorium Maximum der Päpstlichen Universität Urbaniana in Rom. Papst Benedikt war dazu eingeladen, ist dieser Einladung aber nicht gefolgt.

In dem Grußwort, das Sie damals in seinem Namen vortrugen, machte er allerdings klare theologische Aussagen. "Der Verzicht auf die Wahrheit ist tödlich für den Glauben", schrieb er etwa.
Gänswein: Das Grußwort war ein eindrucksvoller Beitrag zum Thema "Wahrheit und Mission". Inhaltlich war es ein theologischer Klassiker. Papst Franziskus, dem Benedikt zuvor den Text zukommen ließ, war sehr beeindruckt und hat ihm dafür gedankt.

Sie hatten mit Benedikts historischem Rücktritt im Februar 2013 zu kämpfen. Wie denken Sie heute über diesen Schritt?
Gänswein: Es stimmt, dass mir die Entscheidung zu schaffen machte. Es fiel mir nicht leicht, sie innerlich anzunehmen. Der Kampf ist inzwischen längst ausgestanden.

Sie haben Benedikt Treue bis in den Tod geschworen. Das bedeutet auch, dass Sie bis dahin an seiner Seite, also im Vatikan bleiben werden?
Gänswein: Am Tag seiner Wahl zum Papst hatte ich ihm versprochen, ihm in vita et in morte beizustehen. Mit einem Rücktritt hatte ich damals natürlich nicht gerechnet. Das Versprechen gilt aber und behält Geltung.

Sie werden zuweilen "George Clooney des Vatikan" genannt. Schmeichelt Ihnen das oder nerven Sie solche Vergleiche?
Gänswein: Als ich diesen Vergleich vor Jahren das erste Mal hörte, hat es die Eitelkeit gekitzelt und mir geschmeichelt. Im Laufe der Zeit, als er immer wieder zu lesen war, ging es mir langsam auf die Nerven. Heute kann ich darüber schmunzeln. George Clooney in persona habe ich bisher nicht getroffen. Sollte ihn sein Weg einmal nach Rom führen, dann ist er natürlich herzlich willkommen.

Bischöfe sollen Hirten sein. Fühlen sie sich als Erzbischof an der römischen Kurie zuweilen wie ein Hirte ohne Herde?
Gänswein: Ja, manchmal schon. Aber inzwischen kommen immer mehr Einladungen zu Firmungen, Jubiläumsmessen und anderen Gottesdiensten. Der direkte Kontakt mit den Gläubigen ist sehr wichtig. Deshalb nehme ich, wenn immer möglich und mit meinen dienstlichen Verpflichtungen vereinbar, pastorale Aufgaben an. Das tut gut und auch Not. Außerdem ist das die beste Medizin gegen eine der von Papst Franziskus aufgelisteten Kurien-Krankheiten: die Gefahr, ein Bürokrat zu werden.

Zur Person

Kurienerzbischof Georg Gänswein ist Präfekt des Päpstlichen Hauses im Vatikan. Für den inzwischen emeritierten Papst Benedikt XVI. arbeitet er seit 2003 als Privatsekretär. Der 58-Jährige wuchs im Südschwarzwald auf und ist dort in Riedern am Wald als ältestes von fünf Kindern geboren.

Im Badischen begann er nach der Priesterweihe im Jahr 1984 auch seine Kirchen-Karriere. Zuletzt war Gänswein unter anderem als möglicher Nachfolger von Kardinal Meisner in Köln im Gespräch.

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