Mordfall Nemzow Ermittler treten auf der Stelle

MOSKAU · Drei Tage nach der Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow treten die Ermittler auf der Stelle. Die 23-jährige Ukrainerin Anna Durizkaja, die Boris Nemzow Samstagnacht bei dem tödlichen Gang über die Große Moskwa-Brücke begleitete, erklärte dem Fernsehkanal TV Doschd, sie habe vor den Todesschüssen gegen 23.30 Uhr nichts Verdächtiges bemerkt.

 Auch in Berlin liegen Kondolenzbücher für den ermordeten Boris Nemzow aus. FOTO: DPA

Auch in Berlin liegen Kondolenzbücher für den ermordeten Boris Nemzow aus. FOTO: DPA

Foto: dpa

Zwar konnten die junge Frau und ein weiterer Zeuge den Todesschützen beschreiben, aber sein Äußeres scheint eher nichtssagend zu sein: 170 bis 175 Zentimeter groß, durchschnittlicher Körperbau, kurzgeschnittene, dunkle Haare, Bluejeans und brauner Pullover.

Mehrfachen Erfolgsmeldungen zum Trotz wurde auch der Fluchtwagen bisher nicht gefunden. Nachdem man zuerst nach verschiedenen Ford-Modellen sowie einem Lada Priora mit inguschetischem Nummernschild fahndete, sucht die Polizei jetzt nach Angaben des TV-Senders Life News ein silberfarbenes Fahrzeug mit ossetischem Nummerschild.

Wie der frühere Kriminalpolizist Alexander Olegin der Zeitung Komsomolskaja Prawda sagte, war der Mörder ein hervorragender Schütze. Vier der sechs Schüsse trafen Nemzow tödlich in den Rücken, dessen Begleiterin blieb unverletzt. Olegin verwirft eine Beteiligung russischer Geheimdienste schon deshalb, weil die sechs Patronenhülsen, die am Tatort gefunden wurden, aus verschiedenen Fabriken und Jahrgängen stammten. Den Mördern mangelte offenbar das Geld für Munition.

Andere Fachleute befürchten dagegen, die Staatsmacht sei in den Mord verwickelt. "Nicht, dass es einen direkten Befehl aus dem Kreml gegeben hat", sagt der Polizeiexperte Ochran Dschemal unserer Zeitung. "Aber die Präsidialverwaltung hat schon früher rechtsradikale Gruppen wie die "Organisation Born" angeleitet. Ihr Führer Nikita Tichonow, der später den Rechtsanwalt Stanislaw Markelow erschoss, soll über zwei Mittelsmänner mit Wjatscheslaw Surkow, dem Vizechef der Präsidialverwaltung, kommuniziert haben." Jetzt haben die Behörden zur Bekämpfung der Opposition die Dachorganisation ,Antimaidan' organisiert, zu der auch gewaltbereite bis halbkriminelle Gruppen gehörten, etwa die Motorrocker "Nachtwölfe". "Vielleicht hat sich eine dieser Gruppe Nemzow vorgenommen, und das kaum ohne Wissen ihrer staatlichen Kuratoren."

Der Geheimdienstspezialist Andrei Soldatow bekräftigt gegenüber Radio Swoboda den Verdacht mehrerer Nemzow-Freunde, dieser sei in der Mordnacht, also kurz vor der geplanten Oppositionsdemo am Sonntag, von den Sicherheitsorganen beschattet worden. "Eine andere Zeit, ein anderer Ort und eine andere Waffe wären für diese Tat viel geeigneter gewesen."

Es gibt eine aus großer Entfernung aufgenommene Videoaufzeichnung, der Mord selbst aber wird von einem Straßenreinigungsfahrzeug verdeckt. Die Komsomolskaja Prawda berichtete, den Ermittlern stünden vier Überwachungsvideos zur Verfügung. Der Kommersant meldete gestern, die meisten Kameras an der Brücke seien zur Tatzeit wegen Reparaturen ausgefallen, die Stadtverwaltung dementierte. Und ein Sprecher des Kreml-Sicherheitsdienstes FSO erklärte, alle eigenen Kameras seien auf das Territorium des Kreml gerichtet, nicht aber auf die Große Moskwa-Brücke gerichtet. "Völliger Unsinn", kommentiert Polizeiexperte Dschemal.

Die Umgebung des Kreml gilt als eines der am besten bewachten Stadtviertel der Welt. Die meisten Experten bezweifeln, dass der Mord in absehbarer Zukunft geklärt wird. Wie im Fall der 2006 erschossenen Kaukaususkorrespondentin und Putinkritikerin Anna Politkowskaja. Zwar wurden mehrere Tschetschenen als Täter verurteilt, die Auftraggeber aber blieben unbekannt. "Im Fall Nemzow", sagt Geheimdienstexperte Soldatow, "werden wohl nicht einmal die Vollstrecker gefunden."

Meistgelesen
Neueste Artikel
Falsche Zeichen
Kommentar zum Treffen von Steinmeier mit Erdogan Falsche Zeichen
Zum Thema
Aus dem Ressort