Kommissionschef Jean-Claude Juncker Eine neue Regierung für die EU

BRÜSSEL · Der neue Kommissionschef Jean-Claude Juncker will mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm starten.

 Der neue Kommissionschef Jean-Claude Juncker will mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm starten. Grafik: GA

Der neue Kommissionschef Jean-Claude Juncker will mit einem milliardenschweren Investitionsprogramm starten. Grafik: GA

Wochenlang haben die beiden gegeneinander um Wählerstimmen gerungen: Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidat der Christdemokraten und Martin Schulz für die Sozialdemokraten. Am Mittwochmittag aber umarmt der bei den Europawahlen unterlegene Schulz seinen Freund Juncker herzlich, nennt ihn einen "Glücksfall für Europa". Der damalige Gewinner wiederum gibt ebenso freundschaftlich zurück: "Wir waren zwar Wettbewerber, aber nie Feinde."

Es ist kurz nach zwölf Uhr am Mittwoch, als die 751 Volksvertreter (699 Stimmen wurden abgegeben) die monatelange Führungskrise der Union beenden: 423 Stimmen von Christ- und Sozialdemokraten sowie großen Teilen der Liberalen bekommt das Team des Luxemburgers, 209 Abgeordnete von Grünen, der deutschen FDP, Linken und den EU-Gegnern um den Briten Nigel Farage lehnen ihn ab, 67 Enthaltungen gibt es - um die 60,5 Prozent Zustimmung. "Ich bin sehr zufrieden", kommentierte Juncker selbst das Ergebnis.

Nun folgen noch ein paar Formalitäten wie der Amtseid aller 28 Mitglieder vor dem Europäischen Gerichtshof, dann kann die neue "EU-Regierung" am 1. November ihr Amt antreten.

Noch in letzter Minute hatte der frühere Regierungschef von Luxemburg an seiner Mannschaft gefeilt. Seinen unmittelbaren Stellvertreter, den niederländischen "Super-Kommissar" Frans Timmermans, machte er auch zum Beauftragten für nachhaltige Entwicklung. Dem umstrittenen ungarischen Kommissar Tibor Navracsics nahm er die Zuständigkeit für die Bürgerschaft weg. Juncker bastelte an seinem Team, von dem er "nicht weniger als alles" erwartet. Der Druck sei groß, gab der neue Kommissionspräsident zu. "Seit ihrem jüngsten Höchststand sind die Investitionen in der EU um knapp 500 Milliarden Euro oder 20 Prozent zurückgegangen. Wir stehen vor einer Investitionslücke, die es zu schließen gilt." Das bereits angekündigte 300-Milliarden-Programm zur Stärkung der Wirtschaft soll noch vor Weihnachten vorgestellt werden. Juncker: "Das ist kein loses Versprechen, sondern eine feste Zusage." Und weiter: "Ich gebe Ihnen mein Wort, dass mein Kollegium Tag und Nacht daran arbeiten wird."

Derart große Worte wollte die Mehrheit des Parlaments hören. In den Stellungnahmen der Parteien vor dem Wahlgang gab es viel Kritik am Zustand der Gemeinschaft, der hohen Arbeitslosigkeit, den fehlenden Wirtschaftsimpulsen, der ungelösten Flüchtlingsfrage, der Bedrohung durch Ebola, dem "Ausverkauf durch das amerikanisch-europäische Freihandelsabkommen TTIP". Juncker versprach, sagte zu, stellte in Aussicht. So werde "in dem Abkommen, das meine Kommission diesem Hause am Ende der Verhandlungen vorlegen wird, nichts den Zugang zur innerstaatlichen Rechtsprechung einschränken oder Geheimgerichten das letzte Wort bei Streitigkeiten zwischen Investoren und Staaten einräumen". Auf diese Klarstellung hatten viele gewartet. Doch Juncker vermochte seine Gegner nicht umzustimmen. Vor allem die Chefin des französischen Front National, Marine Le Pen, verurteilte Juncker rundweg: "Mit Ihnen ist sicher, dass wir das Schlimmste für Europa zu erwarten haben."

Doch die große Koalition im Europäischen Parlament hielt, auch wenn es nach wie vor Skepsis gegen mehrere der neuen Führungsfiguren gibt - darunter den französischen Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici und den britischen Finanzmarkt-Ressortchef Jonathan Hill. Doch die Mehrheit wollte darüber hinwegsehen und sich selbst loben: Immerhin setzten die Volksvertreter gegen den erklärten Willen der Staats- und Regierungschefs durch, dass Juncker, den die EU-Gipfelrunde nach der Wahl eigentlich wieder entmachten wollte, schließlich doch zum neuen Kommissionspräsidenten gewählt werden konnte. Für den Chef der Abgeordneten, Martin Schulz, deshalb "ein wirklich großer Tag des Parlamentes".

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