FIFA-Korruption Ein System der Gier

Zürich · Es ist ein Mittwoch, der als der schwärzeste Tag in die Geschichte der 1904 gegründeten Fifa eingehen dürfte. Die Festnahmen von Zürich erschüttern die Fußballwelt. Nur einer will durch die Vorfälle gestärkt sein: der Fifa-Chef Sepp Blatter.

Zürich, Mittwochmorgen. Gegen 5.30 Uhr rücken Kantonspolizisten in das Hotel Baur au Lac ein. Das Bundesamt für Justiz schickt die "Kapos". Ihr Auftrag: Sie sollen in der Edelherberge am Zürichsee rund ein halbes Dutzend Top-Funktionäre des Weltfußballverbandes Fifa festnehmen - wegen Bestechungsverdachts in Höhe von mehr als 100 Millionen US-Dollar.

Die spektakuläre Aktion steigt zwei Tage vor der geplanten Wiederwahl des verrufenen Fifa-Oberbosses Sepp Blatter. Die Polizisten führen die Funktionäre durch einen Seitenausgang ab. Sie kommen in Auslieferungshaft. In den USA warten Strafverfahren.

Am selben Morgen steuern Beamte der Schweizer Bundesanwaltschaft den pompösen Hauptsitz der Fifa hoch über Zürich an. Sie stellen im "Home of Fifa" elektronische Daten und Dokumente sicher. Es geht um den Verdacht der Bereicherung und der Geldwäscherei rund um die Vergaben der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 an Russland und 2022 an Katar.

Es ist ein Mittwoch, der als der schwärzeste Tag in die Geschichte der 1904 gegründeten Fifa eingehen dürfte. Der Doppelschlag von Zürich erschüttert die Fußballwelt. "Es ist schockierend und schädlich für den gesamten Fußball, was sich in Zürich zwei Tage vor dem Fifa-Kongress abspielt", ächzt der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Wolfgang Niersbach. Und, so sagt der brasilianische Fifa-Experte Jamil Chade voraus, es könnte auch der Tag sein, "der das Ende von Sepp Blatter als allmächtiger Fifa-Präsident einläutet".

Sepp Blatter. Das ist der jovial wirkende 79-jährige Schweizer aus dem Wallis. Er verkörpert wie kein anderer ein System der Günstlingswirtschaft, ein System des Gebens und Nehmens, ein System der Verschleierung, auch der Gier. Kurz, das System Blatter.

Dessen Untergebene aber versuchen noch einmal, die filmreifen Polizei- und Justizeinsätze, die Machenschaften der Fußballbosse, all die Peinlichkeiten herunterzuspielen. Zum Zustand seines Chefs sagt Fifa-Kommunikationsdirektor Walter de Gregorio: "Er ist relaxed." Der Stressfaktor sei aber "ein kleines bisschen höher als gestern".

Der geplante Fifa-Kongress werde selbstverständlich diese Woche in Zürich stattfinden, und Blatter werde sich selbstverständlich am Freitag zur vierten Wiederwahl seit 1998 stellen. Der "Präsident", so hält de Gregorio fest, sei ja nicht festgenommen worden, und er sei in die Vorfälle nicht "involviert". Und auch die Fußballweltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar würden gespielt. "Nichts wird uns stoppen", beteuert de Gregorio. Die Fifa macht weiter wie bisher. Blatter, der sich gern als "Vater des Fußballs" umschmeicheln lässt, setzt bei der anstehenden Wahl auf seine Gefolgsleute in den 209 Mitgliedsverbänden, vor allem auf die Blatter-Anhänger aus Lateinamerika, der Karibik und Afrika. "Blatter kann nicht von der Macht lassen", erläutert Fifa-Experte Chade. "Selbst auf dem absoluten Tiefpunkt der Fifa-Historie betrachtet er sich als unangefochten."

Blatters einzig verbliebener Gegenkandidat bei dem Votum über den nächsten Fifa-Präsidenten aber dürfte Morgenluft wittern: Es ist der jordanische Prinz Ali bin al-Hussein.

Diplomatisch geschickt nennt er den Mittwoch einen "traurigen Tag für den Fußball". Bis Dienstag galt der Prinz eigentlich nur als Zählkandidat, andere Bewerber wie der frühere Superkicker Luis Figo aus Portugal hatten sich aus dem Rennen gegen Blatter verabschiedet. Auch die Unterstützer des letzten Gegenkandidaten, zumal in den europäischen Fußballverbänden, hoffen auf einen Stimmungsumschwung in letzter Minute. Man dürfe den Milliarden Fußballfans nicht weiter eine schamlose Gauner-Clique im Weltverband zumuten.

Besonders schwer wiegen die Vorwürfe gegen die jetzt Festgenommenen: Darunter befinden sich prominente Blatter-Getreue, wie Jeffrey Webb, Fifa-Vizepräsident und Boss der Nord- und Zentralamerikanischen und karibischen Fußballkonföderation Concacaf. Die Concacaf-Zentrale in Miami wurde ebenfalls durchsucht. Auch der undurchsichtige Eugenio Figueredo aus Uruguay kam in Züricher Auslieferungshaft. US-Behörden hatten auf die Verhaftungen gedrängt. Die für den Bezirk Ost von New York zuständige Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Fußball-Bosse wegen möglicher Annahme von Bestechungsgeldern und verdeckter Provisionen. Sportmedien und Sportvermarktungsunternehmen sollen Fußballfunktionäre mit mehr als 100 Millionen Dollar bestochen haben. Im Gegenzug sollen sie die Medien-, Vermarktungs- und Sponsoring-Rechte bei der Austragung von Fußballturnieren in den USA und Lateinamerika erhalten haben. Das Schmiergeld fließt laut den Ermittlern seit Beginn der 1990er Jahre.

In dem zweiten Verfahren, das zur Akten-Sicherstellung am Fifa-Sitz in Zürich führte, wollen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalpolizei der Schweiz zehn Personen vorladen, die als Mitglieder des Exekutivkomitees die WM-Vergaben für 2018 und 2022 mit einfädelten. In diesem Verfahren klammert sich Blatter an einen kleinen Hoffnungsschimmer. Die Fifa hatte im November 2014 selbst Strafanzeige gegen unbekannt gestellt - und tritt jetzt als "Geschädigte" auf.

Man begrüße deshalb die Untersuchungen, erklärte der Sprecher des Verbandes, de Gregorio, mit unbewegter Miene. Für das Image der Fifa sei der Mittwoch zwar kein "schöner Tag" gewesen. Für die Aufklärung werde es aber ein "guter Tag".

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