Kommentar Ein Präzedenzfall

BONN · Der geschäftstüchtige Pop-Art-Star Andy Warhol hätte seine helle Freude daran, sähe er die Turbulenzen und Debatten, die sein dreifacher Elvis, der vierfache Marlon und die bunten Marilyns anrichten.

"Wenn du mit deiner Arbeit kein Geld machen kannst, dann musst du sagen, dass es Kunst ist", meinte das Kommerzgenie schlau, "und wenn du Geld machst, sagst du, dass es etwas ganz anderes ist." Bei dem Skandal um den maroden landeseigenen Kasinobetreiber Westspiel, der sich durch den Verkauf von Bildern sanieren will, geht es längst nicht mehr um Warhol und kreative Marketingstrategien, wohl aber um ein in Schieflage geratenes Verhältnis zur Kunst im öffentlichen Besitz.

Denn, dass Westspiel "autonom und aus eigenen Mitteln" Kunst anschaffen konnte, wie Ministerpräsidentin Hannelore Kraft zu Protokoll gab, und demnach auch veräußern dürfe, wird von mehreren Seiten bezweifelt. Westspiel musste Überschüsse aus dem Kasinobetrieb in Aachen abführen, konnte aber auch mit Landeshilfe rechnen, wenn das Glücksspiel nicht so recht lief. Womit wurde wohl die Kunst erworben? Das fragt man sich.

Streng genommen gehören die in den 70er Jahren für 400.000 Mark erworbenen Warhol-Bilder, die nun bei Christie's in New York 100 Millionen Euro erbringen sollen, dem Steuerzahler und nicht der Tochter der landeseigenen NRW.Bank Westspiel. Diese Gesellschaft offenbart nicht nur durch den geplanten Verkauf der Bilder ein seltsames Verständnis von Kunst im öffentlichen Besitz. Sie hat, wie jetzt herauskam, etliche Werke, etwa von Heinz Mack oder Botero, dem Verfall preisgegeben oder ruiniert.

Der kollektive Aufschrei von Museumschefs, Kulturfunktionären und dem Kunsthandel ist verständlich. Natürlich wäre diese Auktion in New York ein Präzedenzfall, vor dem sich die Hüter kommunaler oder staatlicher Ausstellungshäuser fürchten. Keine Stadt in NRW ohne klamme Kassen, auch das Land sucht händeringend nach Einnahmequellen. Dass Kämmerer in einem der kunstreichsten Länder Deutschlands feuchte Augen angesichts voller Museumsdepots und explodierender Auktionsergebnisse bekommen, ist nachvollziehbar. Aber: Warum sind die Depots so voll? Weil Konsens darüber herrscht, dass Sammlungen nach Kräften gemehrt und nicht geplündert werden. Ein Ausverkauf der Museen, um Haushaltslöcher zu stopfen, würde nicht nur dem Ruf des Landes NRW als Kulturland zusetzen. Es wäre auch ein Schlag ins Gesicht der vielen Stifter und privaten Sammler, jener altruistischen Kunstfreunde, ohne die der Kulturbetrieb schon heute nicht mehr funktioniert.

Der Verkauf von Tafelsilber - und dazu gehört die teuer gehandelte Warhol-Kunst unbedingt - wird kurzfristig Löcher stopfen. Aber die Kunst ist dann weg.

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