Juncker rechnet mit Tsipras ab "Egoismus und taktische Spielchen"

Brüssel · Eine persönliche Abrechnung, ein Bittbrief, unzählige Mahnungen, zur Vernunft zu kommen - zwei Tage nach dem Abbruch der Verhandlungen mit Griechenland hat in Brüssel die Aufarbeitung des Eklats begonnen.

 Trotz der Verwerfungen in Brüssel war der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis am Wochenende in Athen guter Dinge.

Trotz der Verwerfungen in Brüssel war der griechische Finanzminister Gianis Varoufakis am Wochenende in Athen guter Dinge.

Foto: dpa

Der Athener Premier Alexis Tsipras wandte sich bereits am Sonntagabend mit einem Brief an seine Kollegen der Euro-Zone. "Ich ersuche Sie, dass Ihre Regierung in der Frage die eigene Position noch einmal überdenkt", schrieb er. Er bitte lediglich um einen Monat mehr Zeit, bis das zweite Rettungsprogramm ausläuft. Das Referendum am Sonntag sei "das demokratische Recht des griechischen Volkes", dessen Willen er einholen wolle.

Allerdings wachsen Zweifel, ob die griechische Regierung in der Lage ist, innerhalb weniger Tage eine Volksabstimmung für elf Millionen Landsleute zu organisieren. Pawel Tokarski von der Stiftung Wissenschaft und Politik sagte, Syriza agiere "amateurhaft und ist nicht in der Lage, sich die Konsequenzen der eigenen Entscheidung vorzustellen".

Das befürchtet man auch in Brüssel sowie in den Regierungshauptstädten und bemüht sich erkennbar, die geplatzten Verhandlungen wieder aufzunehmen. Der französische Staatspräsident François Hollande forderte in Paris Tsipras auf, die Gespräche mit den Geldgebern fortzusetzen. Sein Land bleibe dabei, dass Griechenland in der Euro-Zone gehalten werden solle.

Auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bemühte sich, Brücken nach Athen zu bauen. "Es ist nicht so, dass wir endgültig in einer Sackgasse feststecken würden. Aber die Zeit wird immer knapper." Zuvor hatte der Luxemburger in einer überaus emotionalen, persönlich gehaltenen Rede allerdings scharfe Vorwürfe gegen Tsipras und seine Unterhändler aufgefahren. Er habe in den zurückliegenden Wochen mehrere stundenlange Gespräche mit Tsipras geführt. Trotzdem sei er von der Ankündigung eines Referendums "überrascht" worden. Er sei bestürzt über das, was er alles bei den Verhandlungen erlebt habe: "Egoismus, taktische Spielchen, populistische Spielchen - ich fühle mich verraten", erklärte Juncker.

Dabei habe man doch "bis zur letzten Minute Berge versetzt." Was die Geldgeber vorgelegt hätten, sei kein "stupides Sparpaket" gewesen.

Beobachter schlossen gestern nicht aus, dass die Kommission einen neuen Vorstoß unternehmen könnte, bevor das zweite Hilfspaket am heutigen Dienstag um 24 Uhr und die Frist für die Überweisung der Juni-Rate an den Internationalen Währungsfonds morgen früh um sechs Uhr deutscher Zeit ablaufen. "Die Lage kann sich wirklich stündlich ändern", sagte ein EU-Diplomat. Hinter den Kulissen hieß es, die Geldgeber seien wohl durchaus bereit, ihr bisheriges Angebot, das durch die Ankündigung des Referendums "durchkreuzt" worden sei, weiter auf dem Tisch zu lassen.

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