Altlasten gehen über Bord EU-Kommission streicht 80 Gesetzesvorschläge

BRÜSSEL · Die EU-Kommission unter ihrem Chef Jean-Claude Juncker will Dutzende Gesetzesvorschläge wieder einsammeln, aus denen bislang nichts geworden ist. Das finden im Prinzip alle gut. Doch um die konkrete Ausführung gibt es Streit.

Dem europäischen Gesetzgeber, also dem Straßburger Parlament und dem Ministerrat, liegen derzeit rund 450 Regelungsvorschläge der EU-Kommission vor. In einigen wenigen Fällen - Euro-Krise - geht es mit der Verabschiedung rasch. Meistens dauert es ein bis zwei Jahre, oft länger und manchmal eine Ewigkeit. Das soll sich nun ändern. "Vorschläge sind nutzlos, wenn sie nur auf dem Verhandlungstisch herumliegen", erklärt die neue Kommission in ihrem ersten Arbeitsprogramm. 80 Entwürfe kommen in die Rückhol-Pipeline. "Wir nehmen Vorschläge vom Tisch, die nicht unseren Zielen entsprechen oder aus denen nichts wird."

Der Großteil der Vorschriften, die den "k.w."-Vermerk ("kann wegfallen") bekommen, ist schlicht überholt oder gegenstandslos, zumeist weil zwischenzeitlich ein anderes Gesetz die jeweilige Sache regelt. Doch einen Teil ihrer Vorlagen will die Kommission aus anderen Gründen streichen oder ändern. Da ist etwa eine Richtlinie zur "Rahmenbesteuerung von Energieerzeugnissen und Strom". Den Entwurf habe der Ministerrat derart gefleddert, dass von der ursprünglichen Absicht nichts mehr übrig sei, erklärte Junckers Vize Frans Timmermans bei der Vorstellung des Programms im Europa-Parlament. Man werde einen neuen Text einbringen.

Dasselbe soll gelten hinsichtlich Recycling-Spielregeln für Autos, Batterien und Elektronik-Schrott. In der vorliegenden Form "nicht effektiv", meinte Timmermans. "Da kommen wir 2015 mit einem ehrgeizigeren Vorschlag wieder!" Geändert werde auch das bisherige Konzept für Grenzwerte der Luft-Belastung mit Schadstoffen.

Was die im Ministerrat festhängenden Regeln für Mutterschutz anlangt, will die Kommission dem Rat und dem Parlament noch ein halbes Jahr Frist einräumen, das Gesetz endlich zu beschließen. Ansonsten wandert es in den Papierkorb.

Anderes soll sofort dort landen, weil keine Aussicht auf Einigung bestehe. Eine Empfehlung über Qualitätsstandards im Tourismus etwa, ein europäisches Stiftungsstatut oder die Liberalisierung der Bodenabfertigung auf Flughäfen. Bei den Zielen gebe es keine Abstriche, versicherte Timmermans, nur bei den Wegen, sie zu erreichen.

Doch Sozialpolitiker, Umwelt- und Verbraucherschützer wittern jetzt schon Unheil. Für sie ist die Entrümpelungsoffensive der neuen EU-Kommission der klare Versuch, sinnvolle Maßnahmen, die der Wirtschaft in Europa nicht passen, unter dem Vorwand der Entbürokratisierung still zu beerdigen.

Die "Todesliste" der Kommission sei in Wirklichkeit "ein De-Regulierungsprogramm", wetterte der Fraktionschef der Grünen, Philippe Lamberts.

Die Liberalen mahnten, Blockade im Ministerrat sei kein hinreichender Grund, ein geplantes Gesetz fallen zu lassen. "Wir sind dafür, den Wildwuchs intelligent zu stutzen, ohne gleich die Axt an den ganzen Baum zu legen!"

Die Christdemokraten und - mit Abstrichen - auch die Sozialisten im Europäischen Parlament sicherten Juncker und Timmermans nach eigenen Angaben ihre Unterstützung zu.

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