Europäischer Gerichtshof EU-Generalanwalt: Sozialleistungen nicht einfach verweigern

BRÜSSEL · Das Recht der EU-Staaten, Bürgern anderer EU-Länder Sozialleistungen zu verweigern, hat enge Grenzen. EU-Ausländer, die schon im Aufnahmeland gearbeitet haben und sich um einen neuen Job bemühen, können nicht automatisch von den staatlichen Zuwendungen ausgeschlossen werden.

Zu diesem Schluss kommt der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) in seinem Gutachten zu einem Fall aus Deutschland.

Die Klägerin Nazifa Alimanovic, eine in Berlin lebende schwedische Staatsbürgerin mit drei Kindern, hatte ein halbes Jahr lang Hartz IV für sich und die älteste Tochter bezogen, nachdem beide ein paar Monate in Kurzzeit-Stellungen beschäftigt gewesen waren. Für die beiden kleineren Kinder gab es Sozialgeld.

Dann stellte das Jobcenter Berlin-Neukölln die Zahlungen ein: Nach deutschem Recht können Ausländer keine Stütze bekommen, wenn sie nur zwecks Arbeitssuche ein Aufenthaltsrecht haben. Der Fall liegt mittlerweile beim Bundessozialgericht, das ihn den EU-Kollegen zur Grundsatz-Entscheidung vorgelegt hat.

Nach Ansicht des Generalanwalts Melchior Wathelet macht es sich der deutsche Gesetzgeber zu einfach. Sozialleistungen könnten prinzipiell verweigert werden, wenn der Ausländer gar keine Arbeit suche oder nur in die Bundesrepublik gekommen sei, um eine Stelle zu finden. Wenn er aber hierzulande schon gearbeitet habe, kommt es laut Wathelet nach geltendem Unionsbürgerrecht darauf an, ob er Wurzeln geschlagen ("eine tatsächliche Verbindung aufgebaut") hat. Dafür kann etwa sprechen, dass er sich ernsthaft um eine neue Arbeit bemüht oder die Kinder auf deutsche Schulen gehen.

Letzteres ist bei den beiden kleineren Kindern von Frau Alimanovic der Fall. Damit haben sie und ihre Mutter nach Ansicht des Generalanwalts ein zusätzliches, weitergehendes Recht auf Aufenthalt.

Nämlich nicht nur, weil Frau Alimanovic Arbeit sucht, sondern auch zur Sicherung einer Ausbildung ihrer Kinder. Der Ausschluss von staatlichen Unterstützungsmitteln gilt nach dem deutschen Sozialgesetzbuch aber nur für Ausländer, die nur zur Jobsuche hier sind.

Die Grünen im Europa-Parlament lobten, es sei "erfreulich, dass die Stellungnahme einem Pauschal-Ausschluss von Unionsbürgerinnen und -bürgern bei Sozialleistungen eine Absage erteilt". Wenn das Gericht seinem Gutachter folge, sei eine Änderung des deutschen Rechts fällig. Das ist indes offen: Meistens stützt sich das Urteil auf die Empfehlung des Generalanwalts, das muss aber nicht so sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort