US-Bundespolizei FBI gesteht eklatante Fehler ein Durch falsche Haaranalysen in die Todeszelle

WASHINGTON · Die Chance, dass Santae Tribble nicht der Mörder des Taxifahrers John McCormick sei, liegt bei "eins zu einer Million". So hatte der Staatsanwalt in der entscheidenden Gerichtssitzung geprahlt.

 Kriminaltechnische Experten in den USA haben Haaranalysen nach fehlerhaften Methoden zugeordnet.

Kriminaltechnische Experten in den USA haben Haaranalysen nach fehlerhaften Methoden zugeordnet.

Foto: dpa-Zentralbild

Sein Plädoyer gegen den damals 17-jährigen Schwarzen aus dem Südosten Washingtons stützte der Ankläger vor allem auf ein forensisches Gutachten einer Elite-Einheit der amerikanischen Bundespolizei FBI. Danach fanden sich Haare des mutmaßlichen Mörders an einer Strumpfmaske, die in der Nähe der Leiche gefunden wurde. Die Geschworenen folgten dem Gutachten der Experten. Tribble ging für 25 Jahre ins Gefängnis, 2012 stellte sich nach neuen Untersuchungen seine Unschuld heraus. Das Haar, das ihn hinter Gitter brachte, stammte von einem Hund.

Kein bizarrer Einzelfall. FBI und Justizministerium haben gestern seit Jahren laufende Recherchen der "Washington Post" ebenso kleinlaut wie eindrucksvoll bestätigt. Danach haben eklatante Fehler bei der Analyse von Haarproben in Mord- und Tötungsdelikten in ganz Amerika in der Vergangenheit in vielen Fällen zu Justiz-Irrtümern, ungerechtfertigten Strafen und sogar Hinrichtungen geführt. Es wird nun mit einer Welle von Berufungsverfahren gerechnet.

Ausgangspunkt des Skandals war die akribische Arbeit von Strafverteidigern der "National Association of Criminal Defence Lawyers (NACDL)" und des "Innocence Projects" in New York. Ein Verein, der über die Jahre rund 300 Verurteilte, darunter etliche Todeskandidaten, mit Hilfe von modernen DNA-Analysen nachträglich auf freien Fuß bekommen hat.

Anhand einzelner Fälle, erinnert sich Sprecher Peter Neufeld an die Anfänge, wuchs der Verdacht, dass Haarproben bei der Verurteilung "zu leichtfertig" die entscheidende Bedeutung zugemessen wurde. 2012 war darum das Entsetzen umso größer. Damals kam heraus, dass Zweifel an der Arbeit der FBI-Untersuchungslabore, die für rund 1000 Forensik-Experten in ganz Amerika beispielgebend sind, bereits in den 90er Jahren zu einer groß angelegten Untersuchung geführt hatten.

Das Justizministerium ließ diskret 6000 Fälle nachträglich rekonstruieren. Die Untersuchung dauerte neun Jahre. Die Ergebnisse wurden 2004 aber weder an die einsitzenden Häftlinge noch an deren Anwälte weitergegeben. Nur die beteiligten Staatsanwälte, so die "Washington Post", wurden informiert. Sie behielten die entlastenden Erkenntnisse weitgehend für sich. "Ungeheuerlich", riefen damals Kongress-Abgeordnete beider großen Parteien, sprachen von "Kumpanei" und verlangten nach einer "fundamentalen Kurskorrektur".

Im vergangenen Sommer stellte das Justizministerium dem FBI dann offiziell ein vernichtendes Zeugnis aus. Nicht nur seien beim Blick durchs Mikroskop im wahrsten Sinne des Wortes "haarsträubende handwerkliche Fehler" gemacht worden.

Dabei fiel häufig der Name Michael Malone, einst Experte im Kriminallabor der Bundespolizei. Die Behörde habe zudem regelmäßig Untersuchungsergebnisse zulasten der Angeklagten manipuliert und dem Missbrauch viel zu lange tatenlos zugesehen. Der Rechtsprofessor Brandon L. Garrett, Autor eines Buches, in dem die ersten 250 Fälle analysiert sind, in denen DNA-Tests nachträglich die Unschuld von rechtskräftig Verurteilten bewiesen, erkannte darin "Züge eines Unrechtsstaates".

Die "Washington Post" hat nun die Spitze des Eisbergs freigekratzt. Demnach waren in rund 270 untersuchten Gerichtsverfahren die Haaranalysen zu 95 Prozent falsch. Betroffen unter anderem: 32 Todesurteile. 14 Menschen, die als unschuldig zu betrachten sind, seien seitdem entweder getötet worden oder in der Haft verstorben.

Das FBI widerspricht an keiner Stelle und bestätigt, dass erst seit 2012 verbindliche Standards für die Gewichtung von Haaranalysen bestehen, denen Experten seit Langem den Mythos der Unfehlbarkeit absprechen. Man werde "zweifelhafte Fälle aus der Vergangenheit nachträglich weiter prüfen und, soweit möglich, Betroffenen helfen", hieß es aus Kreisen der Bundespolizei. Das kann teuer werden.

Erst vor wenigen Wochen hat ein Gericht die Hauptstadt Washington dazu verklagt, 9,2 Millionen Dollar Entschädigung an Kirk L. Odom zu zahlen. Der heute 52-Jährige saß 22 Jahre im Gefängnis. Er soll 1981 in der Nähe des Kongress-Gebäudes eine Frau vergewaltigt und ausgeraubt haben. FBI-Forensiker hatten bei dem Opfer ein Haar gefunden. Sie schrieben es Odom zu. Nachträgliche Untersuchungen ergaben: Fehl-diagnose.

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