Protestaktionen in Ferguson Die schwarze Intifada bleibt aus

FERGUSON · New York, Cleveland, Oakland, Minneapolis, Cincinnati, Denver, Dallas, Seattle, Portland, Boston, Washington: Die Liste der Orte in Amerika, die nach dem umstrittenen Freispruch von Ferguson von Zorneswogen erfasst wurden, ist lang.

 Stiller Protest: Ein junger Amerikaner hört dem Redner einer Protestkundgebung in New York City zu.

Stiller Protest: Ein junger Amerikaner hört dem Redner einer Protestkundgebung in New York City zu.

Foto: dpa

In 170 Städten in über 30 Bundesstaaten gingen seit Dienstag insgesamt Tausende, meist Afro-Amerikaner, auf die Straße. Sie bekundeten ihre Frustration über eine Geschworenenjury, die den weißen Polizisten Darren Wilson nach den tödlichen Schüssen auf den 18-jährigen Schwarzen Michael Brown ungeschoren davonkommen ließ. Ohne Prozess.

Anders als in Ferguson/Missouri, wo ein Großaufgebot von Polizei und Nationalgarde es in der Nacht zu Mittwoch erneut mit vereinzelten Brandstiftungen und Sachbeschädigungen zu tun bekam und 44 Randalierer festgenommen wurden, verliefen die Proteste weitgehend friedlich. Mal wurden Straßen blockiert, mal zogen Menschen wie in Washington vor Regierungsgebäude und verlangten die Korrektur des juristisch umstrittenen Verfahrens in Ferguson.

Dort hatte eine von Weißen dominierte Jury nach dreimonatigen Geheimberatungen keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Fehlverhalten des 28-jährigen Polizisten gefunden und ihm so einen Gerichtsprozess erspart. Obwohl Brown zum Zeitpunkt der Konfrontation am 9. August unbewaffnet war.

Die Eltern des Toten und mit ihnen Millionen Afro-Amerikaner halten das für "großes Unrecht" und den Ausdruck einer Diskriminierung durch die Justiz. Anstatt Wilson in einem öffentlichen Verfahren harten Kreuzverhören zu unterziehen, wollte Bezirksstaatsanwalt Robert McCulloch mit Hilfe der "Grand Jury" Wilson "erst einen fragwürdigen Freispruch verschaffen und die angeblichen Beweise nachliefern", sagte der Politikwissenschaftler Jason Johnson bereits vor Verkündung der Entscheidung. "Das ist institutioneller Rassismus."

In seinem ersten Fernseh-Interview nährte Darren Wilson die Enttäuschung der schwarzen Gemeinschaft zusätzlich. Der vom Dienst suspendierte, gleichwohl bezahlte Ordnungshüter bescheinigte sich ein reines Gewissen: "Ich weiß, dass ich meinen Job richtig gemacht habe." Wilson beschrieb Brown als "Dämon" und behauptete mit festem Blick: "Er wollte mich töten." Fehler bei der Begegnung mit dem jungen Mann, der ursprünglich ins Visier des Polizisten geraten war, weil er nicht wie vorgeschrieben auf dem Bürgersteig, sondern auf der Straße lief, räumte er nicht ein.

Seine Schüsse auf Brown, immerhin zwölf, beschrieb der frisch verheiratete Officer als alternativlos. "Ich würde alles wieder so machen." Der nachträgliche Gedanke, Verstärkung zu rufen oder Brown anderweitig gefechtsunfähig zu machen, hatte in seinem erkennbar akribisch vorbereiteten wie emotional unterkühlten Auftritt beim Sender ABC keinen Platz. Ebenso wenig eine glaubwürdige Geste des Bedauerns an die Adresse der Eltern, die ihr Kind durch Wilson "verhöhnt" sehen. Analysten bezeichneten Wilsons Auftritt als "unvorteilhaft".

Unterdessen geraten zunehmend Fragwürdigkeiten ins Blickfeld, nachdem diverse US-Medien sich durch das 1000-seitige Material der Jury-Beratungen gearbeitet haben, das seit Montag im Internet einsehbar ist. Ein zentrales Beispiel: Staatsanwalt McCulloch, dessen Vater Polizist war und von einem Schwarzen im Dienst erschossen wurde, macht sich vollständig die Notwehr-Darstellung Wilsons zu eigen.

Danach habe Michael Brown im Laufe des Zusammenstoßes nach der Waffe des zunächst im Auto sitzenden Beamten gegriffen. Tatsache laut Untersuchungsmaterial: Die Dienstpistole des Beamten wurde gar nicht auf Fingerabdrücke untersucht.

In rechtspopulistischen Internet-Foren wird nach dem Auftakt der landesweiten Proteste einmal mehr die Gefahr einer "schwarzen Intifada" in den USA herbeigeredet und der Vergleich zum Fall Rodney King gezogen.

Nachdem weiße Polizisten den Schwarzen vor laufender Kamera misshandelt hatten und 1992 nach einem spektakulären Gerichtsverfahren zunächst freigesprochen wurden, kam es in Los Angeles zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. 53 Menschen wurden getötet, 2000 verletzt. Der Gesamtschaden nach Bränden und Plünderungen lag bei einer Milliarde Dollar.

Die Ereignisse in Ferguson und andernorts sind aber Lichtjahre davon entfernt.

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