Ebola-Epidemie Die Welt im Wettlauf gegen das Virus

BONN · In Westafrika spitzt sich die Lage weiter zu: Am Wochenende wurde bekannt, dass sieben Helfer eines mobilen Aufklärungskommandos im Südosten Guineas von Dorfbewohnern getötet wurden, darunter auch Helfer des Internationalen Roten Kreuzes (IRK).

Zudem wurden in Sierra Leones Hauptstadt Freetown in Schutzanzügen agierende Bestatter von Jugendlichen angegriffen, als sie mehrere Ebola-Tote beerdigen wollten. "Angriffe wie diese, hervorgerufen aus Frustration und Angst vor der Krankheit, sind nicht akzeptabel", mahnte das IRK in Genf.

Die Unwissenheit der Bevölkerung, ihre infektionsfördernden Beerdigungsriten und das tiefsitzende Misstrauen der Menschen gegenüber ihren Regierungen erschweren weiterhin auch die Bekämpfung der Ebola-Epidemie in Liberia, Guinea und Sierra Leone durch internationale Hilfsorganisationen und einheimische Helfer. Die jüngsten Angriffe erleichtern auch nicht die Akquise von kompetenten Seuchenbekämpfern in der Welt, die Westafrika nun so dringend benötigt.

Gestern wurde aus Westafrika der 2631. Ebola-Tote gemeldet. Eine offizielle Zahl, die nichts bedeutet, denn das Virus breitet sich infolge fehlender professioneller Quarantäne-Maßnahmen und überforderter Hilfsorganisationen immer weiter aus. Bereits vor Wochen hatte der belgische Forscher Peter Piot, der 1976 das Ebola-Virus im damaligen Zaire identifizierte, in der Pariser Zeitung "Libération" die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hart kritisiert.

Obwohl seit März gewarnt worden sei, dass sich seit Dezember 2013 eine Ebola-Epidemie entwickele, sei die WHO "erst im Juli aufgewacht". Seit sechs Monaten braue sich etwas zusammen, so der 65-Jährige, was man den "perfekten Sturm" nennen könne.

Gestern berichtete der "Spiegel", dass der Ebola-Pionier und -Entdecker von einer "humanitären Katastrophe" spricht. Piot warnt vor einer Ausbreitung der Epidemie von Afrika auf weitere Kontinente, da etwa einer der vielen in Westafrika lebenden Inder die Krankheit in seine Heimat bringen könnte.

Piot: "Auch in Indien tragen Ärzte und Krankenschwestern oft keine Handschuhe, sie würden sich sofort anstecken und das Virus verbreiten."

US-Präsident Barack Obama hatte vergangene Woche in Atlanta die nationale Seuchenbehörde CDC besucht und die Weltgemeinschaft zum raschen Handeln aufgefordert. Er sprach in der Terminologie des UN-Sicherheitsrates, wonach Ebola "den Frieden und die Sicherheit in der Welt bedroht". Obama: "Hier ist die harte Wahrheit: In Westafrika ist Ebola inzwischen eine Epidemie, wie wir sie noch nicht gesehen haben."

Wenn diese Epidemie nicht gestoppt werde, "könnten sich Hunderttausende Menschen infizieren". Offenbar hatten CDC-Experten dem US-Präsidenten zugeflüstert, wie der schlechteste Fall aussehen könnte. Am Wochenende meldete die US-Nachrichtenagentur "Bloomberg" unter Berufung auf eine noch geheime CDC-Studie, dass bis zu 500.000 Menschen infiziert werden könnten.

Unterdessen haben die USA zugesagt, rund 70 Lazarette mit 1700 Betten in den Ebola-Epizentren zu errichten, Deutschland will etwa 250 Betten für Erkrankte beisteuern und plant gemeinsam mit Frankreich eine Luftbrücke. Kuba sendet 160 Ärzte, China Helfer. Selbst wenn das CDC-Worstcase-Szenario nicht einträfe und es bei "nur" Zehntausenden Opfern bis Ende 2014 bliebe, spiegeln die angekündigten Hilfsmaßnahmen, wie sehr sie in der Summe dem Notwendigen hinterhinken.

Zudem kündigten die USA am Wochenende an, dass die geplanten 3000 US-Soldaten ausreichend vorbereitet werden müssten, was bis zu 30 Tage dauern könnte. Dagegen hatte US-Präsident Obama den betroffenen Ländern die Truppen bereits für Anfang der Woche zugesichert.

Einstweilen kämpfen somit die Hilfsorganisationen erst einmal alleine weiter gegen das Virus - und stehen mit dem Rücken zur Wand. An vorderster Front "Ärzte ohne Grenzen". Joanne Liu, Kinderärztin und Präsidentin der Organisation, hatte vor Tagen in New York vor den Vereinten Nationen von einer "Allianz der Untätigen" gesprochen. Liu hat bereits 130 Helfer in Westafrika verloren. Alle sind trotz Schutzkleidung vom Ebola-Virus getötet worden.

Vor diesem Hintergrund spielt auch der Streit zwischen Bundesregierung und Hilfsorganisationen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verteidigte in einem Beitrag für die "Welt am Sonntag" gestern die Bundesregierung. Den Vorwurf der Untätigkeit, wie zuvor von "Ärzte ohne Grenzen" geäußert, wies er zurück: "Diese kritischen Stimmen sollten auch berücksichtigen, dass wir mit Blick auf Syrien, Nordirak, die Ostukraine sowie die Flüchtlingsströme im Libanon und Jordanien mit mehreren humanitären Großkrisen gleichzeitig konfrontiert sind."

Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" bleibt indes bei ihrer Kritik. Die Situation im Krisengebiet sei unerträglich geworden, sagte deren Deutschland-Vorsitzender Tankred Stöbe "NDR Info": "Ich bin beschämt, was ich hier von unserer Regierung erlebe." Die angekündigte Aufstockung der Hilfsmittel bezeichnete er als überfällig. Stöbe erklärte, es sei trotzdem nach wie vor kein Zeitplan erkennbar. Außerdem sähen die Pläne zu wenig medizinisches Personal vor. "Die reichen Staaten - und zu denen gehört Deutschland an vorderster Stelle - müssen fertig ausgebildete Mediziner mit Krankenstationen dort hinschicken."

Auf dem Zeitpfeil droht die Weltgemeinschaft bei der Bekämpfung der Ebola-Seuche tatsächlich ins Hintertreffen zu geraten. Die apokalyptischen Bilder und Berichte aus der Krisenregion spiegeln eine völlig außer Kon-trolle geratene Lage. "Ich denke, die Welt versteht die Botschaft nicht", schreibt Richard Bresser, Ex-Chef der US-Seuchenbehörde CDC, in der "Washington Post". Die Welt riskiere "einen Seuchenzug, der auch international zur Gefahr werden kann".

Dahinter verbirgt sich die Befürchtung, dass das Ebola-Virus eines Tages nicht nur über Körperflüssigkeiten von Mensch zu Mensch übertragen wird, sondern auch auf dem Luftweg. Wie bei einer Grippe. Durch die ungezügelte Infektionsdynamik kommt es zu Kopierfehlern im Erbgut, "Mutationen", sagen Wissenschaftler. Sie können die Eigenschaften des Virus verändern und es für den Menschen harmloser oder gefährlicher machen. Joanne Liu hatte in New York berichtet, dass man bereits 200 bis 300 Mutationen analysiert habe.

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