Washington Post Der Unbestechliche

WASHINGTON · Es war kurz vor den Anschlägen, die Amerika verändern sollten. In der National Cathedral erwies Washington im Juli 2001 Katharine Graham, der legendären Verlegerin der "Washington Post", die letzte Ehre.

 Unerschockener Journalist: Ben Bradlee.

Unerschockener Journalist: Ben Bradlee.

Foto: AP

Das "Who is Who" der Metropole saß im hohen Gotteshaus an der Wisconsin Avenue. Viele sprachen, aber nur eine Rede sollte in Erinnerung bleiben. Gehalten hat sie Benjamin Crowninshield Bradlee, der unter Graham die einst verzopfte Hauptstadt-Zeitung über 26 Jahre zu einer weltweit gehörten Stimme für Pressefreiheit und hartnäckigen Journalismus formen sollte. Bradlee sagte: "Nicht jeder hier weiß vielleicht, was dazu gehört, eine große Zeitung zu machen: ein großer Eigentümer."

Wie Grahams Ruf so ist auch der des 1921 in Boston geborenen Harvard-Absolventen unzertrennlich mit zwei journalistischen Großereignissen verwoben: erst die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere und dann, natürlich, Watergate. 1971 startete die "New York Times" mit der Veröffentlichung geheimer Papiere über den Vietnam-Krieg. Bis ein Gericht die Berichterstattung unterband. Die "Washington Post" besorgte sich ebenfalls das Material und zog trotz gerichtlicher Drohungen, die das Blatt um die Existenz hätten bringen können, nach. Der Ruf der "Post" als unerschrockenes Medium, hier nahm er seinen Anfang. Ein Jahr später recherchierte die Zeitung trotz massivsten politischen Widerstands die später mehrfach preisgekrönte Geschichte hinter dem Einbruch in das Watergate-Apartmentgebäude. Am Ende stand der Rücktritt von Präsident Richard Nixon.

Bradlee war es es, der den Reportern Bob Woodward und Carl Bernstein auch gegen redaktionellen Widerstand ultimative Rückendeckung gab, als deren investigative Recherche um Vertuschung und Machtmissbrauch im Weißen Haus immer größere Kreise zog. In "All the President's Men", dem Film, der Watergate nacherzählte, vermittelte Oscar-Preisträger Jason Robards die Züge von Bradlees Persönlichkeit: bärbeißig, charmant, geradeaus und standhaft. In seiner Autobiografie "A Good Life" schimmert durch, was Journalismus im Kern bedeutet: staatsbürgerliches Verantwortungsbewusstsein.

Umso mehr litt der lange als Nachbar und Vertrauter von John F. Kennedy bekannte Liebhaber von Hosenträgern und aufgerollten Hemdsärmeln unter dem Skandal um Janet Cooke. Die "Post"-Reporterin hatte für ihre Geschichte über ein achtjähriges Heroin-Kind den Pulitzerpreis bekommen. Später stellte sich heraus: alles frei erfunden. Der Chefredakteur erntete Hohn und Spott. Es sollte der einzige dunkle Fleck in der Karriere Bradlees bleiben.

Vor einem Jahr, damals schon schwer von Alzheimer und anderen Krankheiten angegriffen, saß Ben Bradlee im Weißen Haus, um von Barack Obama die Freiheitsmedaille überreicht zu bekommen. Der Präsident lobte die Hingabe Bradlees an den Journalismus, der seit gestern über Amerika hinaus Trauer trägt. Benjamin Bradlee ist im Alter von 93 Jahren in seinem Haus gestorben.

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