Nato und der Syrienkonflikt "Der Bündnisfall ist weit weg"

BRÜSSEL · Der Nato-Alarm folgte nur wenige Stunden nach der Bitte des türkischen Regierungschefs Ahmet Davutoglu um Beistand: Jens Stoltenberg, der Generalsekretär der Allianz, rief für den heutigen Dienstag den Rat des Bündnisses zusammen. Er besteht aus den ständigen Botschaftern der 28 Mitgliedstaaten, die im Brüsseler Nato-Hauptquartier ihre Regierungen vertreten.

Auf der Grundlage des Artikels vier des Vertrages, den das Bündnis am 4. April 1949 abgeschlossen hat, werden "sich die Parteien konsultieren, wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht ist". Erst der folgende Artikel 5 löst den so genannten Bündnisfall aus, mit dem sich die Mitgliedstaaten gegenseitig Unterstützung geschworen haben.

Nur wenn dieser Alarm aktiviert wurde und vor allem der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zugestimmt hat, ist auch eine militärische Zusammenarbeit gefragt. Zuletzt war dies nach den Anschlägen der Al-Kaida-Terroristen auf New York und Washington der Fall, als die Kämpfe in Afghanistan begannen.

"Der Bündnisfall ist noch weit weg", ging Berlins Regierungssprecher Georg Streiter gestern aber schon auf Distanz zu eventuellen Befürchtungen, Deutschland könne vom Nato-Partner Türkei in die Kämpfe an der Grenze zu Syrien hineingezogen werden. Und auch eine Sprecherin von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier bekräftigte, man werde bei der Sitzung "erst einmal abwarten, was Ankara erwartet".

Diese Zurückhaltung teilen auch andere Nato-Staaten, wie gegenüber unserer Zeitung gestern in Brüssel bestätigt wurde. Zwar bekräftigte Generalsekretär Stoltenberg: "Alle Länder haben das Recht auf Selbstverteidigung." Selbstverständlich dürfe sich die Türkei auch "gegen Terroranschläge verteidigen." Aber es sei wichtig, dass "diese Maßnahmen verhältnismäßig sind und nicht in einer unnötigen Weise zu einer Eskalation des Konfliktes beitragen."

Genau das ist die Angst der Partner. Schließlich hatte Ankaras Luftwaffe zwar nach offizieller Darstellung den Kampf gegen die Extremisten des Islamischen Staates (IS) aufgenommen, tatsächlich aber seien in den vergangenen Tagen vor allem Lager der kurdischen Arbeiterpartei PKK angegriffen worden. Kompliziert wird die Lage vor Ort noch dadurch, dass die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) an vorderster Front gegen den IS kämpfen und nicht zuletzt den Vormarsch auf die türkisch-syrische Grenzstadt Kobane gestoppt hatten - ohne jede Unterstützung Ankaras.

In Kreisen der Allianz hieß es gestern, man dürfe sich nicht von der Türkei "vor den Karren ihrer Politik gegen die PKK" spannen lassen. Deutsche Nato-Diplomaten sind zusätzlich beunruhigt, weil die Bundesregierung die kurdischen Peschmerga-Kämpfer mit Waffen ausgestattet hatte und nun befürchtet, diese könnten in die Hände der PKK-Extremisten fallen. Von der heutigen Sitzung in Brüssel wird vor diesem Hintergrund zunächst nicht mehr als ein Informationsaustausch erwartet. Ein ranghoher Nato-Diplomat sagte: "Hier wird nichts entschieden, weil die Lage und die Absichten Ankaras völlig unklar sind."

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