Weltwirtschaft Das große Palaver in den Alpen

GENF · Politiker und Manager wollen beim Forum in Davos nichts Geringeres als den "Zustand der Welt verbessern". Ganz oben auf der Agenda in der Schweiz: Der Kampf gegen den Terror.

 Verschneiter Schauplatz: Der Nobelkurort Davos im Kanton Graubünden.

Verschneiter Schauplatz: Der Nobelkurort Davos im Kanton Graubünden.

Foto: dpa

Klaus Schwab reckt den Kopf. Er nimmt sein Publikum in den Blick. Mit tiefer Stimme doziert der 76-Jährige über den Zustand des Planeten: Terrorismus, Kriege, Umbrüche. Es scheint, als ob sich der Gründer und Präsident des Weltwirtschaftsforums (WEF) ernsthafte Sorgen über den Weltenlauf macht. Das Jahr 2015 werde zu einem "Schicksalsjahr für die Menschheit", sagt der Deutsche voraus. Und zu Beginn dieses Schicksalsjahres will Schwab sicherstellen, dass die Menschheit sich doch noch in die richtige Richtung aufmacht. In Richtung Kooperation und Miteinander.

Dabei soll sein Weltwirtschaftsforum den Weg weisen. Am morgigen Mittwoch geht es los: Rund 2500 prominente Teilnehmer aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und der Kulturszene erscheinen auf dem viertägigen Jahrestreffen im Schweizer Nobelort Davos.

Allein mehr als 40 Staats- und Regierungschefs haben ihr Kommen zugesagt: von Bundeskanzlerin Angela Merkel über den chinesischen Premierminister Li Keqiang bis zu Südafrikas Präsident Jacob Zuma und Staatschef Petro Poroschenko aus der Ukraine. Nur wenige Tage nach den Terror-Anschlägen von Paris will auch Frankreichs Präsident François Hollande eine Rede halten. Aus den USA reist Außenminister John Kerry an. Die Bundesregierung wird neben der Kanzlerin durch mehr als ein halbes Dutzend Kabinettsmitglieder vertreten, darunter Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Topmanager und Wirtschaftskapitäne wie Microsoft-Gründer Bill Gates werden das Gros der Teilnehmer stellen. Das Spektakel in den Schweizer Alpen, zuweilen auch als Palaver bezeichnet, wird streng bewacht - den Sicherheitskräften sowie den vielen Personenschützern stehen harte Tage bevor.

Zu keinem anderen privat organisierten Ereignis strömen regelmäßig so viele hochrangige Führungspersönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft wie zum WEF. Kaum ein anderes privat organisiertes Forum zieht regelmäßig so viele Berichterstatter aus aller Welt an. "Keine Frage, Klaus Schwab hat hier etwas Großes auf die Beine gestellt", analysiert der Australier John Zarocostas, der seit den späten 80er Jahren als freier Journalist über die Reichen und Mächtigen auf dem Forum schreibt. "Viele andere Eventmanager eifern Schwab nach. Aber der Erfolg des Weltwirtschaftsforums bleibt unerreicht."

Es ist ein Erfolg, der dem Geltungs- und Sendungsbewusstsein des Multimillionärs Schwab und seiner Helfer jedes Jahr aufs Neue einen Schub verleiht. Immerhin sehen die Macher des WEF sich selbst zu nichts Geringerem berufen, als "den Zustand der Welt zu verbessern". Das soll auch auf dem 45. Weltwirtschaftsforum wieder der Fall sein. Hoch, Höher, Davos.

Doch lasten die Terroranschläge von Paris, die Gewalttaten islamistischer Fanatiker in anderen Teilen des Globus und die vielen blutigen Kriege schwer auf dem Forum. Auch die mannigfaltigen wirtschaftlichen Turbulenzen, nicht zuletzt der dramatische Absturz des Euros gegenüber dem Schweizer Franken, demonstrieren: Die Welt scheint aus den Fugen zu geraten, eine Krise jagt die nächste, den Politikern entgleitet die Kontrolle.

Genau hier will Schwab ansetzen. Das WEF 2015 soll den "Startschuss für die Wiedergeburt des weltweiten Vertrauens" geben. Philipp Rösler, der sich als WEF-Manager um regionale Strategien und Regierungskontakte kümmert, formuliert es so: "Vertrauen baut man am besten damit auf, indem man Menschen zusammenbringt." Der frühere deutsche Vizekanzler und Wirtschaftsminister versicherte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": Der Kampf gegen den Terror wird eines der Hauptthemen des Wirtschaftsgipfels.

In Workshops, Diskussionsrunden und Foren stehen zudem weitere globale Herausforderungen zur Diskussion: Von der Ressourcenknappheit über Ernährungssicherheit und der Gleichberechtigung von Mann und Frau bis hin zu Welthandel und dem Kampf gegen Korruption. Alle Debatten laufen unter dem Obermotto: "Der neue globale Kontext."

Schwammige Slogans wie dieser gehören zum festen Bestandteil des Forums. So diskutierte man 2006 unter der Überschrift: "Der kreative Imperativ". Vor vier Jahren sollten die Teilnehmer "Gemeinsame Regeln für die neue Realität" formulieren. Trotz all der großen Worte gilt: Das Weltwirtschaftsforum fällt keine offiziellen Entscheidungen für den Globus. Klaus Schwab bietet seinen illustren und nicht minder eitlen Gästen eine Bühne. Sehen und gesehen werden. Und die Teilnehmer sollen den "Geist von Davos" spüren - jenes Gefühl, dass man zu den wirklich wichtigen Menschen zählt.

Für viele Bosse heißt Davos aber schlicht und einfach: Business. Am Rande der Debatten nehmen sie Tuchfühlung auf, fädeln Deals ein. Das steht in keinem offiziellen Programm des Gipfels. Genau diese verlockenden Möglichkeiten machen aber den eigentlichen "Geist von Davos" aus. "Natürlich kommen die Topmanager nicht nur hierhin, um über Probleme anderer Leute zu debattieren", sagt ein Mitarbeiter des Forums. "Da geht es ums Geld."

Als Schwab Anfang der 70er Jahre zu den ersten Treffen lud, waren die Manager noch unter sich. Schwab, ein Professor für Betriebswirtschaftslehre, lotste einige Firmenlenker nach Davos. Am Kaminfeuer debattierten die Geschäftsleute über ökonomische Fragen. Schwabs Buch "Moderne Unternehmensführung im Maschinenbau" galt für Newcomer als Pflichtlektüre. Natürlich streifte man auch die politischen Probleme. Schwab baute in Genf eine Zentrale für sein WEF auf. Nach und nach ließen sich international führende Firmen als WEF-Mitglieder gewinnen: Von General Motors bis Volkswagen, von der Deutschen Bank über HSBC bis Goldman Sachs, von Google bis Coca-Cola.

Das Jahrestreffen in Davos wuchs, die Teilnehmer wurden immer prominenter und die Themen immer gewichtiger. Vor einem Vierteljahrhundert sorgte "Davos" für globale Schlagzeilen: So kam es zum ersten Treffen auf Ministerebene zwischen Nord- und Südkorea, Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR-Ministerpräsident Hans Modrow diskutierten über die Zukunft Deutschlands und der Präsident Südafrikas, Frederik Willem de Klerk, ging auf die Freiheitsikone Nelson Mandela zu. Später reichten sich Palästinenserführer Jassir Arafat und der israelische Spitzenpolitiker Schimon Peres die Hände. Und selbst ein US-Präsident, Bill Clinton, gab sich die Ehre. "Davos war Schauplatz vieler Begegnungen großer Politiker", erinnert sich der Journalist Zarocostas. "Viele der Treffen konnte die Welt sehen, genauso viele Treffen aber fanden im Hinterzimmer statt."

Genau diese "Geheimdiplomatie" trieb über Jahre die Gegner von Davos auf die Straße. Kritiker warfen den Forumsteilnehmern vor, undemokratische Absprachen zu treffen, die das Leben von Millionen Menschen beeinflussen. Die Betroffenen hätten keinen Einfluss. In Schweizer Städten protestierten die Forumsgegner gegen Klüngel und Profitgier. Unter dem Motto "Occupy Davos" versuchte man sogar, das Forum lahmzulegen.

In diesem Jahr aber bleibt der Widerstand gegen die Bosse aus - bei der Gemeinde Davos ging kein einziges Gesuch für einen Protestzug ein. Sehr zur Freude auch der örtlichen Wirtschaft. Denn wütende Demonstranten sind nicht gut fürs Geschäft. Laut Schätzungen Schweizer Medien lässt die zahlungskräftige Kundschaft pro Forum weit mehr als 25 Millionen Euro in Davos. Die Hotels sind ausgebucht, die Restaurants stellen Extrapersonal ein, und die Juweliere und Edelboutiquen ordern zusätzliche Waren.

Pünktlich zum Forum zogen in diesen Wochen, wie auch in den vergangenen Jahren, die Preise an. Doch die wirtschaftliche Realität droht auch Davos einzuholen. Der bärenstarke Schweizer Franken dürfte selbst gut betuchte Teilnehmer des Weltwirtschaftsforums davon abhalten, zu viel Geld in dem Ort zu lassen.

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